Über Land Art

„Als erste große Museumsausstellung über Land Art liefert „Ends of the Earth“ den bisher umfassendsten Überblick über die Kunstbewegung, die die Erde als Material benutzte und das Land als Medium. (…) Anfang der 1960er-Jahre begannen Künstler an verschiedensten Orten der Welt, mit Erde als Material zu arbeiten und sich mit der Beschaffenheit der Erde als Planet auseinanderzusetzen. (…) Oft operierten die Künstler der Land Art direkt unter freiem Himmel. Dass die freie Natur andere Bedingungen für die Lebensdauer eines Werkes vorgab als geschlossene Räume, nutzten die Künstler produktiv. Manche Werke existierten nur für die kurze Zeit ihrer Ausführung (…)[.] Bei der Entstehung und Entwicklung der Land Art spielten Sprache, Film und Fotografie eine zentrale Rolle. Magazine und Fernsehsender gaben künstlerische Arbeiten in Auftrag, veröffentlichten sie als Erste und leisteten so einen wichtigen Beitrag zur Distribution der Werke. (…) Zahlreiche Künstler der Land Art beschäftigen sich mit den Wunden und Narben, die der Mensch dem Planeten Erde zufügt, sei es durch Kriegsmaschinerie (Robert Barry, Isamu Noguchi), Diktaturen (Artur Barrio), Atomtests (Heinz Mack, Jean Tinguely, Adrian Piper) oder Besiedelung (Yitzhak Danziger); sie forderten ein verstärktes Bewusstsein für die Bedingungen von Produktion, Präsentation und Verbreitung von Kunst und verliehen in ihren Werken den technologischen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen der Zeit Ausdruck.“

Kaiser, Philipp/Kwon, Miwon (Hrsg.): Ends of the Earth: Land Art to 1974, München 2012.

Über Darstellung und Verständnis

„Interpretationen werden gesprochen oder geschrieben, die Werke der bildenden Kunst sind aber gezeichnet, gemeißelt, gegossen, gemalt, gebaut, montiert; und die Schrift ist nicht ihr Darstellungsmittel, auch wenn sie in Signaturen und Inschriften auftritt. Wir neigen dazu, die Unterschiedlichkeit der Darstellungsmittel zu verwischen mit einer Reihe von Metaphern: Wir sprechen vom Lesen oder von der Lektüre der Bilder, als wären sie Texte, wir lesen von „architecture parlante“ und von „peinture parlante“. Wir sprechen von der Aussage eines Bildes, als könnte es die sprachliche Darstellung eines Sachverhaltes sein, und wir bemerken, dass ein Bild uns „nichts sagt“, wenn wir meinen, dass es uns gleichgültig sei. (…) Mit der Metaphorik vom Sprechen der Werke, die auf die Antike zurückgeht, äußern wir den Wunsch, das Kerygma, die an uns gerichtete Botschaft der Werke, zu entziffern und zu hören – kühler gesagt, ihren „Appell“ zu erfahren. (…)

Das Verstehen der Werke setzt die Unterbrechung der flüchtigen Wahrnehmung und des alltäglichen Gebrauchs der Werke voraus und kommt in Gang durch die Feststellung der Unverständlichkeit der Werke.

(…) Wir erkennen im „Appell“ oder in unserem Unverständnis die Aufforderung, mit der Tätigkeit des Verstehens zu beginnen. Wir können das Verstehen von Werken der bildenden Kunst allgemein als jene Tätigkeit umschreiben, durch die wir unser Unverständnis beseitigen wollen. Wir unterscheiden den „Appell“ der Werke, der sich an unser Verstehen richtet, von der Aufforderung an unser Verhalten, die z.B. von Plakaten ausgeht und zum Konsum von diesem oder jenem Bier leiten will. Ich glaube auch, dass wir einen Unterschied machen müssen zwischen dem Verstehen von Werken der bildenden Kunst und dem Verstehen beim Lesen von Texten. Klaus Weimar hat das Verstehen beim Lesen (den Vorgriff auf die folgenden Sätze und den Rückgriff auf das Gelesene) als einen „geistigen Reflex“ bezeichnet: Das Verstehen beim Lesen kann man nicht willentlich unterdrücken, es sei denn, man hört auf zu lesen.(3) Dagegen kann man Werke der bildenden Kunst gebrauchen oder wahrnehmen, ohne die Tätigkeit des Verstehens zu beginnen.“

(3) Weimar, Klaus: Enzyklopädie, §§ 285–297

Bätschmann, Oskar: Anleitung zur Interpretation: Kunstgeschichtliche Hermeneutik, in: Belting, Hans u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte: Eine Einführung, 7. überarbeitete Auflage, Berlin 2008, S. 201/202.

Über Rezeption

„Wir haben oben schon darauf hingewiesen, dass das Kunstwerk im Gegensatz zur face-to-face-Kommunikation eine asymmetrische Kommunikation auslöst. Diese Feststellung ist eine relative, denn totale Asymmetrie kennt die Kommunikationstheorie nicht – immer muss ein Gegenüber anerkannt werden, immer muss ein gemeinsamer Bezugsrahmen angesprochen sein. Im Falle der ästhetischen Kommunikation erweist sich die relative Asymmetrie als Antrieb, den Betrachter nicht nur zu disponieren – durch äußere Vorgaben, deren Berücksichtigung vorausgesetzt wird –, sondern auch zu stimulieren, zu aktivieren, am Aufbau des Werks zu beteiligen. Dies geschieht durch die Art und Weise, wie der Betrachter an der innerbildlichen Kommunikation beteiligt ist. Genauer: Wie er an einer Kommunikation teilnimmt, an der er nur als Betrachter, nicht als Akteur beteiligt sein kann. Die innere Kommunikation, das, was wir häufig Darstellung, Komposition, Handlung nennen, besteht aus „Menschen, die sich Zeichen geben […], Dinge[n], die Zeichen sind […], Vorgänge[n], die selbst schon Kommunikation sind oder zumindest von Kommunikation begleitet werden oder aber der Gegenstand von Kommunikation sind, die von den Menschen im Bild gemacht wird.“(1) Im Unterschied zu den meisten Formen der Alltagskommunikation ist für die innerästhetische Kommunikation wesentlich, dass sie unter den Augen von Betrachtern stattfindet. „In das Medium sind bestimmte Formen eingelegt, die die Wahrnehmung der Zuschauer, die Weise, in der sie auf die innere Kommunikation schauen, organisieren; die innere Kommunikation wird präsentiert, und zwar so, dass sie nicht nur das bedeutet, was sie ohne Zuschauer für die beteiligten Akteure der inneren Kommunikation bedeuten würde, sondern dass sie eine zusätzliche Bedeutung hat, die gerade aus dem Umstand der Anwesenheit von Zuschauern resultiert.“(2)“

(1) Bitomsky, H.: Die Röte des Rots von Technicolor. Kinorealität und Produktionswirklichkeit, Neuwied/Darmstadt 1972, S. 30.
(2) ebd., S. 105.

Kemp, Wolfgang: Kunstwerk und Betrachter: Der rezeptionsästhetische Ansatz, in: Belting, Hans u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte: Eine Einführung, 7. überarbeitete Auflage, Berlin 2008, S. 252/253.

Über Subjektivität und Authentizität

„Die Subjektivität ist in der Malerei nicht nur dadurch zur Geltung gekommen, dass sie in der privaten Sphäre rezipiert wurde. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Subjektivität auch ein Kriterium für die Herstellung von Malerei: Der Künstler objektiviert sich selbst in Malerei; sie wird zu einem Spiegel persönlicher Befindlichkeit und Empfindungskraft. Das Kunstwerk als Ausdrucksträger der seelischen Konstitution eines Genies entzieht sich allen Vorgaben durch bestellende kirchliche, politische oder mäzanatische Instanzen. Die Kunst geht gleichsam in Opposition zu den gegebenen gesellschaftlichen Normen. Der Künstler wird ein Sonderwesen, das auf Wahrhaftigkeit und Authentizität verpflichtet ist. Diese Autonomie des künstlerischen Schaffens hat Probleme erzeugt, die den Künstler in die Isolation getrieben haben. Doch die Avantgarden der Moderne haben diese neue Position des Künstlers nicht nur akzeptiert, sondern auch produktiv gehalten, indem sie gesellschaftliche Konventionen und gewohnte Wahrnehmungsformen immer wieder in Frage stellten und durch radikale Subjektivität eine Strategie der permanenten Zumutungen und Provokationen verfolgt haben. Nachdem die Öffentlichkeit von neuen Massenmedien versorgt wird, welche die alten Informations-und Indoktrinationsaufgaben der Malerei und der Grafik übernommen haben, können die bildenden Künste die Defizite und Abgründe, welche die Zivilisation dem Subjekt hinterlässt, artikulieren und durch freie ästhetische Gegenbilder zur gegebenen Ordnung zu deren Weiterentwicklung beitragen.“

Warnke, Martin: Gegenstandsbereiche der Kunstgeschichte, in: Belting, Hans u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte: Eine Einführung, 7. überarbeitete Auflage, Berlin 2008, S. 39/40.