„Und, Anke, wie war so dein fünftes Semester?“

Anstrengend. Kthxbai.

(Erstes, zweites, drittes, viertes Semester)

In diesem Semester kamen mehrere Dinge zusammen, die es etwas herausfordernd gemacht haben. Zum einen meine (seelische) Gesundheit, die gerade im Oktober und November eher memmig drauf war, was es mir teilweise schwer, teilweise unmöglich gemacht hat, morgens aus dem Bett zu kommen. Dadurch versäumte ich einige Vorlesungen und Seminare, was mich übermäßig hysterisch hat werden lassen, als es um Referate ging, die zum ersten Mal nicht alle unterhaltsam waren, sondern Arbeit. Natürlich waren sie immer noch toller als vieles, was ich vor dem Studium gemacht habe, aber im Vergleich zu den ersten Semestern waren sie Arbeit. Also diese Form von „Augen zu und durch“-Arbeit, die ich so verabscheue, weil ich gerade im Studium, das immer noch eine Art Sabbatical vom echten Leben ist, meinen Kram eben nicht wegarbeiten will, sondern bewusst und freudig was dabei lernen möchte. Das klappt fast immer, aber dieses Mal nicht so ganz.

Zusätzlich habe ich mir selbst genau den Druck gemacht, über den ich immer mütterlich lächele, wenn meine 20-jährigen Kommilitoninnen über ihn reden. Während sie glauben, dass ihr Leben vorbei ist, wenn sie jetzt nicht dieses Praktikum in Paraguay kriegen, kann ich nachts nicht schlafen, weil ich glaube, keinen Master-Studienplatz zu bekommen, wenn mein Schnitt nicht noch besser als 1,2 wird. Da ist er im Moment, wenn ich richtig rechne. Weiß ich aber nicht genau, weswegen ich noch mal extra schlecht schlafe.

An einer weiteren Sache knabbere ich auch rum, aber das ist mehr so anstrengend auf der Meta-Ebene: Ich vermisse mein Expertinnenwissen, das ich in der Werbung hatte und das in Kunstgeschichte auch nach fünf Semestern gefühlt eher rudimentär vorhanden ist. Meine Dozierenden sind meist in meinem Alter oder drüber, und gerade bei den Gleichaltrigen (oder sogar Jüngeren) fällt es mir jetzt, nach zweieinhalb Jahren, allmählich schwer, immer die doofe Studentin zu sein. Ich vermisse die Gespräche auf Augenhöhe, die ich in der Werbung hatte. Es liegt nicht unbedingt am Alter – in der Agentur habe ich Textinchen mir auch von Grafik-Praktis was sagen lassen, weil ich von ihrem Job null Ahnung habe. Es liegt einfach daran, dass es mich allmählich mürbe macht, auch an der Uni null Ahnung zu haben. In den ersten Semestern war das funky und aufregend, so dumm durch die Gegend zu spazieren, aber jetzt, warum auch immer, zehrt es gerade an mir. Ich merke zwar, wenn ich mit Freunden oder Freundinnen über mein Studium oder Kunst spreche, wieviel ich schon gelernt habe, aber sobald meine Dozierenden vor mir stehen, relativiert sich das außerordentlich schnell. Natürlich weiß ich, dass die sich seit 20 Jahren mit Kunst befassen und ich gefühlt seit 20 Minuten, aber dass ich mir das dauernd sagen muss, nervt.

Dann war dieses Semester auch das, in dem der Kerl und ich unsere inzwischen elfjährige Beziehung mal ausdiskutiert haben. Wir sind beide sehr gut darin, unangenehme Themen unter den Teppich zu kehren oder mit Käse zu überbacken, und so schleichen wir seit zwei Jahren um das Thema rum, dass ich quasi in München wohne und nur noch zu Besuch in Hamburg bin und dass wir das beide gerade nicht ändern können oder wollen. Also habe ich die Weihnachtsferien mit weniger Lernen zugebracht als geplant und dafür mit viel mehr Reden, was aber gut war, denn ich bin jetzt wieder deutlich zuversichtlicher, dass wir das hinkriegen. Aber es ist doch alles komplizierter, als ich dachte, und es wird nicht einfacher, je länger wir in verschiedenen Städten wohnen.

Durch das viele Reden und das wenige Lernen bin ich etwas in Zeitnot geraten und habe dementsprechend fast den kompletten Januar als Eremit am Rechner zwischen Büchern und meiner Teekanne verbracht. Die einzige Abwechslung zum Lernen und dem Verfassen der ersten Hausarbeit war zur Uni zu gehen, in die Bibliothek zu gehen oder einzukaufen. Ein Konzert und einen Vortrag habe ich mir gegönnt, aber sonst war ich vom 5. bis zum 28. Januar eine totale Musterstudentin, die jetzt gerade kaum noch weiß, wie Menschen aussehen, die nichts mit Geschichte oder Kunstgeschichte zu tun haben. Deswegen freue ich mich sehr auf den morgigen tpmuc, bevor ich bis Dienstag nochmal für die letzten Klausur abtauche.

Und das alles (Kränkeln plus Hysterie plus Schlafstörungen plus Metastress) kommt natürlich genau in dem Semester, in dem ich am meisten zu tun habe, weil ich ja fünf Semester Geschichte in drei quetsche, um im nächsten Semester total entspannt meine Bachelorarbeit schreiben zu können, ohne nebenbei noch Seminare abarbeiten zu müssen.

Aber natürlich war das Semester genauso toll wie es anstrengend war und ich habe wie immer viel gelernt.

Ich habe gelernt, dass Blockseminare überhaupt nichts für mich sind. Das mag ja für einige Studis prima sein, in nur vier Tagen ein ganzes Semester runterzureißen, aber genau das fand ich blöd. Ich mag den Wochenrhythmus, ich mag meine festen Termine, und ich mag es, dass der Stoff Zeit hat, sich sieben Tage lang in meinem Hirn festzusetzen. In den vier Tagen des Blockseminars in Geschichte – zweimal im November, zweimal im Januar – wusste ich abends schon nicht mehr, was ich morgens gelernt hatte, weil es einfach zu viel Stoff in zu kurzer Zeit war. Das Thema „Die Stadt im Mittelalter“ war großartig, aber ich habe leider längst nicht so viel mitgenommen wie ich gehofft hatte.

Das zog sich auch durch meine Referatsvorbereitung. Normalerweise kriegt man ja in den ersten zwei, drei Sitzungen ein Gefühl dafür, wo die Reise hingeht, was der Fokus des Kurses ist, worauf man bei den Referaten vielleicht den Schwerpunkt legen sollte, um am besten ins Gesamtbild zu passen. Das fehlte hier alles. Mein Referat war gleich am ersten Blocktag im November; das hatte ich bewusst so gelegt, weil ich auf keinen Fall im Januar noch ein Referat halten wollte, wo ich schon im Klausurenlernmodus bin. So hatte ich zum ersten Mal die Situation, über ein Thema zu sprechen, das für mich noch nirgends eingeordnet war. Wir mussten zwar alle vorher zum Dozenten und ihm unsere Struktur vorstellen sowie das Handout, und das war auch sehr hilfreich, aber trotzdem war alles schwammiger als mir lieb war. Ich bin bis heute nicht zufrieden mit dem Referat, obwohl der Dozent es war, und mir graut ein bisschen vor der Hausarbeit, weil mir schlicht keine spannende Frage einfällt. Mein Thema ist „Altstadt, Neustadt, Vorstadt“ und eigentlich habe ich nur 20 Minuten lang erzählt, dass es keine einheitliche Altstadt, Neustadt oder Vorstadt im Mittelalter gab. Ich suche immer noch nach einem roten Faden, der über diesen totalen Allgemeinplatz hinausgeht, aber noch habe ich ihn nicht gefunden.

Wobei ich in einer anderen Vorlesung mal wieder hübsche Bezüge herstellen konnte. In „Architektur des Mittelalters“ in Kunstgeschichte haben wir über verschiedene Gebäudetypen und ihre Funktion gesprochen, unter anderem die Stadtwaage, den Salzstadel usw. Von anderen Gebäuden wusste ich inzwischen, dass sie nur in der Vorstadt anzutreffen waren, also (sehr verallgemeinert) dem Gebiet, das außerhalb der Stadtmauer lag. Zum Beispiel lagen Schmieden immer vor den Toren wegen der Feuergefahr. Mühlen (Getreide, Papier etc.) waren an Flüssen, die sie betrieben, und lagen damit ebenfalls vor der Stadt. Deswegen hatte ich kurz überlegt, daraus was zu machen, so in die Richtung „Wie Architektur die Stadt gestaltet“, aber auch hier bin ich nicht wirklich auf den Punkt gekommen. Meh. Zur Wiedervorlage.

Ich habe gelernt, dass es Stadtwaagen und Salzstadel gab.

Ich habe gelernt, dass ich Architektur wirklich spannender finde als Bilder und Skulpturen. Ich gucke mir die letzten beiden sehr gerne an und plaudere noch lieber darüber, aber forschen möchte ich, behaupte ich nach fünf Semestern jetzt mal so halbzart, über Gebäude. Das müssen nicht mal meine geliebten gotischen Kathedralen sein – gerade in diesem Semester ist mir das Alltagsleben im Mittelalter sehr nahe gekommen, und da würde ich gerne noch ein bisschen bleiben. Wobei ein Dozent meinte, er habe früher auch Mittelalter gemacht und sei jetzt eher in der frühen Neuzeit unterwegs, weil da die Quellenlage schlicht besser sei; da könne man richtig forschen, während man im Mittelalter manchmal einfach nur mutmaßen kann. Das klackert zwar jetzt in meinem Kopf rum, aber eine Konsequenz habe ich daraus noch nicht gezogen.

Ich habe gelernt, dass ich mich auf mein Kolloquium richtig freuen kann, das die Bachelorarbeit begleitet. Laut unserer Prüfungsordnung müssen wir keine Disputatio halten, sondern in einem Kolloquium, an dem alle BA-Kandidat*innen des Dozenten teilnehmen, unser Projekt vorstellen. Mein Prüfer lud mich schon in diesem Semester zu seinem Kolloquium ein –„davon können Sie nur profitieren“ –, allerdings erst im Januar, was ich sehr bedauert habe. Denn dort sitzen lauter Menschen mit ganz unterschiedlichen Themen und Interessen und man bekommt von ihnen ihren derzeitigen Arbeitsstand vorgebetet. Das heißt, man bleibt nicht im engen thematischen Rahmen eines Seminars, sondern man hört bunt durcheinander was über Bilder, Künstler*innen, Skulpturen oder, wie in meinem Fall, über eine Datenbank. Und wenn niemand ein Referat hält, sprechen wir über Ausstellungen, die eine_r von uns gesehen hat oder plaudern generell kunsthistorisch in der Gegend rum. Ein Traum! Wie ein Lesezirkel, nur mit Kunst! Das hat mir in diesem Semester sehr gut gefallen und ich freue mich schon aufs nächste.

Ich habe gelernt, dass ich nicht Superwoman bin. (Verdammt!) Meine Stofffülle hat dazu geführt, dass ich einen Kurs nach wenigen Malen verlassen habe (den brauchte ich auch nicht für meine ECTS-Punkte) und eine weitere Vorlesung seeeehr habe schleifen lassen. Ich habe zwar brav für die Klausur gelernt, die ich gestern geschrieben habe, und es könnte sogar knapp gereicht haben, aber eigentlich habe ich mich schon damit abgefunden, im letzten Semester noch mal eine Vorlesung zu Neuer Geschichte zu belegen. Was auch völlig okay ist.

Ich habe gelernt, dass es Dozenten gibt, die in jeder Vorlesung alles umräumen, was bisher in meinem Kopf an „Wissen“ über Kunst in Deutschland zwischen 1925 und 1960 vorherrschte. Ich bin aus jeder dieser Veranstaltungen mit offenem Mund rausgekommen und musste erstmal viel lesen. Dafür verzeihe ich dem Herrn auch seine verbesserungswürdigen Folien. (Falls ich durch die Klausur falle, widerrufe ich diesen Satz.)

Ich habe gelernt, dass ich ungern während des laufenden Semesters eine Hausarbeit schreibe. Das war dieses Mal leider unvermeidlich – siehe oben, viel Zeug in kurzer Zeit –, und die Arbeit machte auch richtig Spaß, aber ich habe zu jedem Zeitpunkt im Hinterkopf gehabt, dass ich diesen Gedanken jetzt eh nicht komplett ausformulieren kann, weil ich noch was lesen muss für morgen oder was vorbereiten oder für die Klausuren lernen. Bisher hatte ich den Luxus, nur in der vorlesungsfreien Zeit schreiben zu können, wo mich nichts und niemand in meinem Fluss gestört hat. Hier musste ich dauernd was anderes machen, und das kann ich noch nicht so gut wie ich es in der Werbung konnte, wo ja auch dauernd was TOTAL EILIGES, ECHT JETZT auf deinem Schreibtisch landet. Ich habe mir zum ersten Mal in fünf Semestern eine To-Do-Liste geschrieben, um den Überblick nicht zu verlieren, und das fühlte sich ein bisschen so an, als wäre ich alt. Ähem.

Ich habe gelernt, dass die digitale Kunstgeschichte echt heißer Scheiß ist. Das wusste ich zwar eigentlich schon vorher, sonst wäre ich ja nicht auf die Idee gekommen, meine Bachelorarbeit zu diesem Thema zu schreiben, aber das wurde mir in diesem Semester noch mal bestätigt. Ich mag es, dass mein Fach sich auf einmal mit heutigen Dingen beschäftigt, die noch gar keine Geschichte sind. Ich mag es, dass wir auf einmal durch digitale Methoden Daten generieren können, die exakt sind und nicht das übliche wolkige Rumgemeine, was wir so gut drauf haben. Ich mag es, dass mein Fach sich gerade um mich herum verändert und, noch toller, dass ich die Chance habe, es aktiv mitzugestalten. Wer hätte gedacht, dass sowas Altbackenes wie Kunstgeschichte so modern sein kann.

Ich habe gelernt, dass dieses Studium trotz der ganzen Nerverei, die es in diesem Semester war, eines der besten Dinge ist, die ich in den letzten Jahren angefangen habe. Mich macht jedes Seminar und jede Vorlesung glücklich und neugierig und hibbelig auf mehr, mehr, mehr. Der Master ist fest eingeplant. Und der Kerl kommt jetzt einfach viel öfter nach München als in den ersten vier Semestern. Alles wird gut, und alles bleibt spannend.