Ausstellung „Jean Paul Gaultier“

In der Hypo-Kunsthalle läuft noch bis Februar eine Ausstellung mit Kleidung von Jean Paul Gaultier. Ich zog also brav meinen Ringelpulli an und machte mich auf den Weg, um mir gut 160 Schaufensterpuppen anzuschauen.

Bereits im ersten Raum lernte ich, dass Haute Couture kein Schnickschnackbegriff ist, sondern bestimmte Anforderungen erfüllt sein müssen, damit ein Modehaus seine Kollektionen so bezeichnen darf:

„[D]ie jeweiligen Unternehmen müssen ein Maß-Atelier mit mindestens 15 (ehemals 25) Vollzeit-Angestellten betreiben, den Hauptsitz des Unternehmens in Paris führen und mindestens 35 (ehemals 50) verschiedene, von Hand gearbeitete, von einem Modeschöpfer kreierte Modelle für Tages- und Abendmode, welche alle Unikate sind, während der saisonalen Haute-Couture-Modenschauen in Paris der Presse präsentieren.“ (Wikipedia)

Was ich auch im ersten Raum lernte: wie alt der Cone Bra schon ist, der eines der ersten Stücke Gaultiers ist, an die ich mich erinnere. Auch die weiteren Klassiker in meinem Hinterkopf sah ich im Laufe der Ausstellung vor mir: den Ringelpulli in all seinen Variationen, den Männerrock und sogar eines meiner Lieblingsstücke, den wundervollen Vogelfedernbolero, den Dana International beim ESC 1998 trug.

Die Räume sind thematisch geordnet. Das klingt erstmal clever, aber es werden für einen Überbegriff alle Kollektionen der letzten 30 Jahre zusammengeworfen, was mich irgendwann doch irritiert hat. Ich hätte gerne eine Entwicklung gesehen, aber vielleicht ist die bei Mode nicht so leicht nachzuvollziehen wie bei darstellender Kunst; gerade Gaultier springt gerne von Inspiration zu Inspiration, von Material zu Material – das scheint keine logische Abfolge zu sein, sondern ein wildes Remixen von allem, was der Mann zu Gesicht bekommt. Genau das macht seine Mode so spannend – aber es macht es auch ein bisschen schwierig, von dieser Fülle im Laufe der Ausstellung nicht überwältigt zu werden. Meine Augen waren im vorletzten Raum schon ziemlich durch, und die Brautkleider, die traditionell als letzte auf den Laufsteg kommen und dementsprechend hier im letzten Raum zu sehen waren, hatten von vornherein verloren. Wo ich doch sonst so ein wedding chick bin.

Im ersten Raum stand ich am längsten vor einer Kreation aus der Spring/Summer Collection 2012 (jedenfalls sagt Google das; das Schild am Exponat sagt 2010): einem Korsettkleid, das von Amy Winehouse inspiriert wurde. Ich gebe zu, ich achte bei mir selbst recht selten auf wirklich gute Stoffe, was aber auch daran liegt, dass es in meiner Größe eben meist Mist zu kaufen gibt; als ob dicke Frauen irgendwie dankbar zu sein hätten, dass sie überhaupt irgendwelche Polyesterzelte zum Überwerfen kriegen. Daher versinke ich beim Klamottengucken in Museen auch gerne in Stofflichkeiten. Es ist frappierend, wie anders teure Materialien aussehen, fallen, verarbeitet sind als die Plünnen, die ich am Leib trage (und der Großteil meiner Umgebung). Man sieht den Kleidungsstücken hier auf jedem Zentimeter an, wieviel Sorgfalt und Liebe zum Detail in ihnen steckt.

Bei einigen Stücken ist die Herstellungsdauer angegeben. Ich habe mir nicht jedes Schild durchgelesen, aber ein Kleid imitierte ein Leopardenmuster durch Perlenstickerei, und das hat angeblich 1600 Stunden erfordert. Glaube ich sofort. Jetzt weiß ich auch, warum Haute-Couture-Models so schlank sind – für Frauen meiner Statur würde man die Kleidung in einem halben Jahr gar nicht fertigkriegen. Ach, wo wir gerade bei Frauen meiner Statur sind: In einem Raum wird großspurig darauf hingewiesen, dass Gaultier sich bei seinen Modellen auch mal (gewagt, gewagt) von der Modewelt-Normschönheit entfernt und zum Beispiel Beth Ditto laufen ließ. Ich hätte mich gefreut, wenigstens ein Kleidungsstück zu sehen, das nicht in Größe 32 vor mir steht, wenn es doch angeblich welche gibt. But that’s just me.

Was mir dagegen an der Show sehr gut gefallen hat: der Einsatz von lustigen Medien. So stehen im zweiten Raum neun Puppen aus der Jungfrauenkollektion 2007. Die stehen da aber nicht einfach so rum, sondern auf ihre Köpfe sind bewegte Gesichter projiziert, sie singen vor sich hin, lächeln, schauen den Betrachter an … das ist anfangs etwas unbehaglich, aber man gewöhnt sich recht schnell daran, ständig Geräusche oder Gesprächsfetzen im Hintergrund zu haben, in fast jedem Raum. Im Jungfrauenraum standen auch die ersten Matrosen (unter anderem ein Pulli aus gestreiftem Nerz), und ich fühlte mich in meinem Ringelpulli sehr wohl.

Natürlich wird auch auf die Zusammenarbeit mit Promis hingewiesen, wir sehen Fotos von Madonna, Conchita Wurst (ihre Schaufensterpuppe hatte einen Bart, das fand ich großartig), Kylie Minogue und so weiter und so fort. Das war mir aber doch eher wumpe, auch wenn ich mich gefreut habe, eines meiner Lieblingsbilder von Mondino mal in groß vor mir zu sehen. Aber ich fand die Kleidung, die nicht dadurch besonders wird, dass sie von Celebrities getragen wird, viel spannender. Im drittletzten Raum, dem Großstadtdschungel, stand ein Kleid aus der Russia-Kollektion von 1997/98, das ich sofort gekauft hätte, auch wenn gerade mein Oberschenkel darin Platz gefunden hätte (hier zu sehen, hier nochmal extra, und das Kleid ist in echt viel spektakulärer). Es besteht aus einem Tüllrock und einem langen Oberteil aus Wolle. Oben am Hals und an den Schultern sieht es wie ein simpler Strickpulli aus, aber dann werden aus den Längsstreifen plötzlich Zopfmuster, die in unterschiedlichen Höhen beginnen und nach unten auslaufen – in weitere, verschiedene Muster, mal feiner, mal gröber, das Kleid scheint plötzlich zu machen, was es will; ich musste an das Experiment mit den Spinnen denken, die man unter Drogen gesetzt hat, um zu sehen, was mit ihren Netzen passiert (Überraschung: Sie werden sehr lustig), und ich konnte mich an dem Kleid schlicht nicht sattsehen.

Ein weiterer Liebling lief, ja, lief, im vorletzten Raum, dem Punk Cancan, wo hauptsächlich Kleidung zu sehen war, die von Paris oder London inspiriert wurde. Hier war der Aufbau spannend: Man hatte wirklich einen Catwalk nachgebaut, auf dem die Pariser Modelle auf Schienen an einem vorbeiliefen. Man konnte sich an den Laufsteg setzen und ihnen zugucken wie in einer echten Modenschau. An der einen Saalseite standen die Londoner Puppen, auf der anderen hatte man Stühlchen hingestellt, auf denen Puppen mit weiteren Promiklamotten saßen. Für die Ausstellung wurde eine Haarstylistin engagiert, und so erkannte man Catherine Deneuve dann auch gleich an ihrer Frisur. Dass in dem Glitzergoldding mit Ausschnitt bis zum Bauchnabel Kim Kardashian gesteckt hatte, hätte ich mir fast denken können, aber ich musste doch aufs Schildchen gucken.

Auf dem Laufsteg kam mir dann mein liebstes Herrenmodell entgegen: ein langer, schwarzer Rock aus edlem Smokingstoff, der hinten zu einer Hose wurde. Dazu eine schwarze Smokingjacke – ein Traum. Ebenfalls auf dem Laufsteg: ein kurzes, beigefarbenes Kleid, das nur aus breit gestickten Worten bestand, die Paris beschreiben. (Ich finde leider keine Bilder.)

Ich mochte an der Ausstellung den kompletten Aufbau, der die variablen Räume der Hypo-Kunsthalle gut nutzt, und die detailverliebte Ausstattung jeder einzelnen Puppe. Ich war irgendwann von der Masse an Material und Farbe etwas überwältigt, aber ich nehme an, das ist Gewöhnungssache. Ich habe mir in den letzten Jahren angewöhnt, Bilder, Gebäude und Skulpturen genauer bzw. unter bestimmten Gesichtspunkten anzugucken – bei Kleidung muss ich noch etwas üben.

Einen spannenden Effekt hat die Ausstellung aber: Man hört draußen auf der Straße nicht damit auf, mal genauer auf Kleidung zu schauen. So fiel mir sofort die spannungsreiche Kombination aus knallrotem Rock und neonpinken Sneakers an einer jungen Frau auf, genau wie die grauen Hochwasserhosen an einem sehr schlanken Mann, der sie mit einem schwarzen Pulli kombinierte, der ihm leicht von den Schultern rutschte. In seinen schwarzen Schuhen steckten keine Socken. Der Herr neben mir in der Tram hatte in seinem karierten Jackett ein anderskariertes Einstecktuch, und die Kassiererin im Kaufhof, wo ich mir nach der Ausstellung ein bisschen gutes Futter gönnte, trug lange, fein ziselierte, goldene Ohrringe.

Tagebuch 21. September 2015 – BA-Note

Gestern um 11.15 Uhr schlug endlich die Mail des Prüfungsamtes bei mir auf, auf die ich seit Wochen gewartet hatte, und die mir mitteilte, dass meine Abschlussdokumente nun abholbereit wären. Das Amt hat bis 12 geöffnet. Ich überschlug kurz: Noch 24 Stunden warten und brav um 9 aufschlagen, um die Mappe abzuholen? Oder jetzt blitzschnell aus den Schlumpfklamotten schälen, die Wärmflasche vom Bauch nehmen (Frauenkram, Sie wissen schon) und aufs Fahrrad schwingen, um so gerade noch vor Schluss aufzulaufen? Die offensichtliche Antwort war die zweite, und so war ich um 11.40 im Prüfungsamt. Das uninahe Wohnen hatte sich mal wieder ausgezahlt.

Ich nannte meinen Namen und bat um meine Abschlussdokumente. Dafür musste ich ein Formular ausfüllen und unterschreiben: Name (krieg ich hin), Studiengang (klar), Matrikelnummer … konnte ich noch nie auswendig, aber ich hab ja immer meinen Studiausweis dabei. … Nicht. … Fürs Oktoberfest am Sonntag abend hatte ich mein Portemonnaie ausgeräumt und nur ein bisschen Geld, die EC-Karte, Perso und mein Semesterticket dringelassen. Nix Studiausweis. Aber, und ich bin sehr froh, dass mir das noch eingefallen ist, bevor ich den Besuch anrief, um ihn zu bitten, mir mal eben telefonisch meine Matrikelnummer aufzusagen vom Ausweis, der irgendwo in der Küche liegt, die im Moment eher dem Bermudadreieck ähnelt, aber, wie gesagt: das musste ich nicht machen, denn auf dem Semesterticket steht die Nummer auch drauf. Wenn man in München kontrolliert wird, muss man Ticket, Studiausweis und Perso vorzeigen. Okay, musste ich noch nie, aber das ist die offizielle Ansage. (Jetzt beim Schreiben fällt mir auf, dass ich dann gestern und vorgestern auch nicht alle Dokumente für die ordnungsgemäße Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs dabei gehabt hätte. Ups.)

Formular ausgefüllt und unterschrieben, Mappe in die Hand gedrückt bekommen, die Dame im Amt wünschte mir alles Gute, und dann konnte ich draußen im Gang endlich meine Endnote angucken, von der ich noch nicht wusste, wie sie lautete.

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Ich bin sehr stolz und glücklich. Hier könnt ihr nachlesen, womit ich mir die letzten drei Jahre die Zeit versüßt habe, und hier ist meine BA-Arbeit (1,3).