Das ehemalige Kloster Weihenstephan

Thema meiner Bachelorarbeit war digitale Architektur. Als Grundlage für meine Argumentation – digitale Architektur kann mehr sein als nur eine Abbildung von Gebäuden, nämlich u. a. durch Meta- und Paradaten ein Erkenntnisinstrument sowie eine völlig neue Bildgattung – diente mir eine Visualisierung des Klosters Weihenstephan, das 1803 im Zuge der Säkularisation größtenteils abgerissen wurde. Die Fachhochschule Weihenstephan, die zur TUM gehört, fertigte im Jahre 2003 eine 4D-Version der Klosteranlage an, die ich in der BA-Arbeit beschrieb.

Ich war zwar 2011 schon einmal auf dem Berg, aber ich wollte mir die Gebäude noch mal in Ruhe anzuschauen. Also das, was noch bzw. wieder in restaurierter Form steht. Der folgende Text ist ein leicht gekürzter und mit einigen launigen Anmerkungen versehener Ausschnitt aus meiner BA-Arbeit, die den Bau von 1803 beschreibt. Ich habe die Fußnoten gekillt; ihr müsst mir das jetzt mal glauben, dass ich alles, was da unten steht, belegen kann.

Weihenstephan ist ein Stadtteil der Großen Kreisstadt Freising, die circa 30 Kilometer nordöstlich von München liegt. Südwestlich der Stadt liegt die landschaftliche Erhöhung des Weihenstephaner Bergs. Auf ihm wurde von Bischoff Hitto (811–835) vermutlich kurz vor 834 die erste Kommunität an diesem Ort gegründet. Von 1021 bis zur Säkularisation 1803 bestand auf dem Berg ein Benediktinerkloster, von Beginn des 12. Jahrhunderts bis 1242 zusätzlich ein Nonnenkloster. 1803 wurden die Gebäude teilweise abgebrochen, teilweise (mit Unterbrechungen bis heute) für eine Forst-, Obstbaum- und Landwirtschaftsschule genutzt. Heute gehören sie größtenteils zur Technischen Universität München bzw. deren Wissenschaftszentrum für Ernährung, Landnutzung und Umwelt. Während andere Klöster nach der Säkularisation unter anderem in Kasernen oder Gefängnisse umgestaltet wurden, gelang es in Weihenstephan, die klösterlichen Garten-, Land- und Forstwirtschaften zu erhalten und die Arbeit in ihnen fortzusetzen.

Der Baubestand von 1803 wurde vor dem Teilabbruch vom kurfürstlichen Hofbauamt vermessen und im Bild festgehalten; für Weihenstephan ist ein (nicht genordeter) Plan des Freisinger Hof- und Stadtmaurermeister Thomas Heigl vom 14. September 1803 erhalten:

WS1803

Er zeigt eine noch geschlossene Einheit aus Kirche mit Konventsgebäuden und Kreuzgang, ein Hofareal mit Wirtschaftstrakten im Westen sowie Klostergarten und Korbinianskapelle im Osten. Kurz nach der Erstellung des Plans wurde die Korbinianskapelle abgebrochen, Ost- und Südflügel sowie Stephanskirche und Kreuzgang wurden vermutlich zwischen 1803 und 1810 bzw. kurz darauf abgerissen. Heute sind vom Baukörper von 1803 nur noch wenige Teile erhalten: der „völlig verunstaltete“ westliche Flügel, darin einige Gewölbearkaden des ehemaligen Kreuzgangs, die Keller sowie das Treppenhaus und der Dekanatssaal im Gästetrakt in der Verlängerung des ehemaligen Südflügels. Von der Korbinianskapelle stehen noch einige Mauerreste.

WSuebersicht

Ansicht von Südosten. Screenshot der 4D-Visualisierung, liegt als CD-ROM Schegk 2003 bei (siehe Literaturliste am Ende dieses Blogeintrags).

Die gut neunminütige, als Film angelegte Visualisierung beginnt mit einer Übersicht über die Gebäude. Hier sind Kreuzgang, Konventbau und Kirche farbig markiert; im Westen davon befinden sich die Wirtschaftsgebäude, im Osten der Klostergarten mit Hospital, Noviziat und das freistehende Salettl. Bei der Schwarzweiß-Ansicht im Vordergrund gut zu sehen und in der farbigen durch Höhenlinien angedeutet: die Korbiniankapelle.

WSuebersicht_farbig

Die Klostergebäude brannten in ihrer langen Geschichte mehrfach ab. Die ältesten, 1803 noch vorhandenen Gebäude wurden am 11. Juli 1305 eingeweiht; ihr Aussehen vor ihrer barocken Umgestaltung ist uns nicht bekannt.

Die Klosterkirche St. Stephan war eine dreischiffige romanische Basilika ohne Querhaus. Ein viereckiger Turm mit zweistöckigen gotischen Blendbogenarkaden und einem achteckigen Spitzdach überragte die Kirche. Der Bau war laut Sebastian Gleixner 59,32 Meter lang, 19,71 Meter breit und 14,29 Meter hoch. Laut Helene Trottmann war die Kirche 66 Meter lang, 21,50 Meter breit und 16 Meter hoch, Alfred Kaiser maß 60,10 Meter in der Länge und 19,60 Meter in der Breite. Alle drei Verfasser berufen sich bei ihren abweichenden Berechnungen auf die Angaben aus dem Heigl-Plan von „Länge 208 Schuh, Breite 68 Schuh und Höhe 50 Schuh“, die sich auch bei Gentner 1854 schon finden.

Der Kreuzgang, der sich südlich an die Stephanskirche anschloss, gehörte vermutlich zu den ältesten Teilen des Klosters, um den nach und nach Gebäude errichtet wurden; er umschloss eine Fläche von ungefähr 25 mal 26 Metern. Von ihm steht heute nur noch die Westseite, die drei anderen Seiten wurden abgerissen.

kreuzgang

kreuzgang_detail

In der Nordwestecke befand sich seit 1501 die Kreuzgangskapelle, deren Traufhöhe bis in den zweiten Stock reichte; möglicherweise bestand hier bereits ein Vorgängerbau. Zweistöckige Konventsgebäude umschlossen den Kreuzgang. Im Ostflügel lagen im ersten und zweiten Stock das Dormitorium sowie die Mönchszellen mit Platz für ungefähr 35 Männer; die Nutzung der Räume im Erdgeschoss ist unbekannt.

Im Erdgeschoss des Südflügels lagen Bediensteten- und Gästezimmer, die Küche, das Refektorium sowie ein großer Versammlungsraum, im ersten Stock ein weiterer großer Saal sowie ein Toilettenraum über der Küche. Weiterhin fanden sich hier die Zimmer der Bediensteten des Abtes. Im zweiten Stock, der vermutlich einen ähnlichen Grundriss hatte wie die beiden unteren Stockwerke, lagen weitere Gästewohnungen. Ein Gebäudevorsprung, der die Südfassade des Konventbaus mittig architektonisch auflockerte, trennte auch optisch die Bereiche, die für Konventsangehörige bzw. Gäste vorgesehen waren. In ihm befanden sich die Speisekammer sowie das sogenannte innere Küchenstübchen. In der Verlängerung des Südflügels nach Westen befanden sich weitere Gästezimmer sowie ein Gästespeisesaal – der heutige sogenannte Dekanatssaal.

Im Westflügel befanden sich die Abtswohnung mit eigenem Abtritt, Gästezimmer und die Kreuzgangskapelle, die der Abt direkt aus seinen Zimmern erreichen konnte. Im Erdgeschoss lagen die Klosterrichterei sowie ein Requisitengewölbe. Ein Glockenturm über einem Säuleneingang lockerte auch hier die sonst einheitliche Fassade auf. Er ging auf die kreuzgangabgewandte Seite, also nach Westen, hinaus.

Hier malerisch gegen die Sonne und mit TUM-Fähnchen fotografiert:

uhrenturm

Im direkten Anschluss an den östlichen Teil des Südflügels befand sich das Klosterkrankenhaus. Der rechteckige, ebenerdige Bau war vermutlich mit einem Walmdach gedeckt. Ein überdachter Gang aus Holz am Kreuzgarten entlang verband das Spital mit dem leicht nördlich versetzten, zweistöckigen Noviziat.

Eine hanghinabführende Treppe im Spital mit 84 Stufen führte direkt zur Korbinianskapelle, die sich leicht nördlich versetzt über der angeblich heilendes Wasser spendenden Korbiniansquelle erhob.

stufen

Die Quelle gehört zu den ältesten Quellheiligtümern Bayerns, eine erste Kapelle über ihr wurde 1608 errichtet. Die nach 1803 abgebrochene Kapelle wurde nach einem Entwurf von Cosmas Damian und Egid Quirin Asam 1719 fertiggestellt und 1720 geweiht. Die Korbinianskapelle war ein barocker Rundbau mit niedrigem Sockel, der durch ionische Halbsäulenpaare in acht gleiche Abschnitte unterteilt war. Über dem eckigen Hauptportal befand sich ein Rundbogenfenster, neben ihm waren ebenfalls zwei halbrunde Fenster angebracht. Der Eingang sowie die Fenster waren eventuell mit Stuck versehen. Die Säulenpaare trugen ein Stuckgesims, an das sich eine mit Rundfenstern versehene Attika anschloss. Über ihr befand sich eine Kuppel mit einer Laterne.

Heute stehen nur noch Ruinen der Kapelle:

korbinian

Zusätzlich zum Kreuzgarten besaß der Konvent noch einen in barocken Formen gestalteten Klostergarten, der sich im Ostteil der Anlage befand. Eine Hauptachse, die vom Kloster aus in Richtung Osten führte, wurde von zwei Querachsen geschnitten, die den Garten in sechs asymmetrische Abschnitte teilten. In der östlichsten Kreuzung befand sich ein Springbrunnenbassin, das den Garten mit Wasser versorgte.

salettl1

In diesem Gartenteil befand sich das freistehende Salettl. Das einstöckige Gebäude ging vermutlich auf einen Bau aus der Mitte des 16. Jahrhunderts zurück; die um 1803 vorhandene Baustruktur wurde Ende des 17. Jahrhunderts errichtet. Der rechteckige Bau mit einem Walmdach war mit einer aufwendigen Fassadenmalerei geschmückt: Auf rosafarbenem Grund waren zwischen die Fenster ockerfarbene ionische Säulen gemalt, die Fensterrahmen waren ockerfarben umrandet. Das Walmdach trug eine grüne Färbung, um ein Kupferdach zu imitieren. Ein kleiner Anbau auf der Nordseite beinhaltete das Treppenhaus und war mit einem barocken Dachreiter verziert. Das Salettl diente den Äbten als Gartencasino. Es wurde nicht abgerissen und ist seit 1997 wieder im Zustand von 1803 zu sehen. Es dient heute als Tagungsgebäude der Fachhochschule.

salettl2

salettl_detail

Der gesamte Westteil der Anlage wurde von einstöckigen Wirtschaftsgebäuden bestimmt. Direkt an das Westportal der Stephanskirche schloss sich die noch heute vorhandene Brauerei an. (Dass Weihenstephan, wie die eigene Werbung gerne behauptet, die älteste Brauerei der Welt sei, ist historisch nicht haltbar.) Um 1803 gab es vermutlich zwei Portale auf der Südseite, die mit Pilastern und Sprenggiebeln versehen waren. Die Fassade war bis auf einen mittig angebrachten Dachgaubenaufzug ungegliedert. In den weiteren Ökonomiegebäuden, die optisch der Brauerei ähnelten und vermutlich ziegelgedeckt waren, befanden sich unter anderem die Bäckerei, Fleisch- und Sattelkammer, eine Schmiede, die Meierei und verschiedene Stallungen sowie Lagerräume.

Am südöstlichen Ende der Wirtschaftsgebäude, nahe dem Eingang zum Klostergarten, befand sich die kleine Magdalenenkapelle, die noch heute vorhanden ist. Sie ist ein quadratischer Zentralbau, der damals ein ziegelgedecktes Zeltdach besaß. Das heutige Zwiebeldach entspricht nicht der historischen Bausubstanz. Die Kapelle wurde 1987 wieder in einen Andachtsraum verwandelt, nachdem sie jahrelang als Waschhaus der Brauerei gedient hatte.

(Und ich Depp habe vergessen, sie zu fotografieren.)

Literatur (Auswahl):

Feuchtner, Manfred/Koschade, Gerhard R.: „Kirchen und Grabdenkmäler der Freisinger Kollegiatstifte St. Andreas und St. Veit und der Benediktinerabtei Weihenstephan“, in: Glaser, Hubert: Das Grabsteinbuch des Ignaz Alois Frey, Regensburg 2002, S. 135–156.

Gentner, Heinrich: Geschichte des Benedictinerklosters Weihenstephan bey Freysing. Aus Urkunden angefertigt, München 1854.

Gleixner, Sebastian: „Ein Puzzlespiel: Die Rekonstruktion des Klosters Weihenstephan aus den Quellen“, in: Schegk, Ingrid (Hrsg.): Weihenstephan 4D – vom Kloster zum Campus. Versuch einer Rekonstruktion, Freising 2003, S. 73–141.

Goecke, Michael: „Weihenstephan als traditionsreiche Ausbildungsstätte“, in: Schmidt, Erika/Hansmann, Wilfried/Gamer, Jörg (Hrsg.): Garten, Kunst, Geschichte. Festschrift für Dieter Hennebo zum 70. Geburtstag, Worms 1994, S. 226–228.

Kaiser, Alfred: „Gestalt und Ausstattung der ehemaligen Benediktinerstiftskirche Weihenstephan bei Freising“, in: Amperland. Heimatliche Vierteljahresschrift für die Kreise Dachau, Freising und Fürstenfeldbruck 26 (1990), S. 544–553.

Schegk, Ingrid (Hrsg.): Weihenstephan 4D – vom Kloster zum Campus. Versuch einer Rekonstruktion, Freising 2003.

Schuster, Karl: „Weihenstephan. Geschichte und Gegenwart“, in: Bayerland 57 (1955), S. 394–397.

Seidl, Alois: „Das Salettl. Die Keimzelle der Fachhochschule Weihenstephan“, in: Amperland. Heimatliche Vierteljahresschrift für die Kreise Dachau, Freising und Fürstenfeldbruck 34 (1998), S. 281–284.

Trottmann, Helene: „Die zerstörte Korbinianskapelle in Weihenstephan und ihr Bilderschmuck von D. C. Asam“, in: Jahrbuch des Vereins für Christliche Kunst in München 14 (1984), S. 81–90.

Fehlfarben 6: Mixing Pop and Politics – Andy Warhol und Keith Haring

Heute im Programm: zwei Ausstellungen und drei Sauvignon Blancs. Leider ohne Kühlmanschetten, weswegen ihr uns bei 1.40:00 kurz beim kalten-Wein-Nachschenken zuhören müsst dürft.

Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 89 MB, 110 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung, Vorstellungsrunde und Blindverkostung Wein 1.

00.03:00. Unsere erste Ausstellung: Yes!Yes!Yes! Warholmania in Munich im Museum Brandhorst. Wir erwähnen unter anderem die Blotted-Line-Technik, über die ihr hier und hier mehr erfahren könnt.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 18. Oktober und hat von uns drei Och-jo-kann-man-machen-Daumen nach oben bekommen.

00.38:20. Blindverkostung Wein 2 und Warhol-Fazit.

00.49:50. Ausstellung Nr. 2 hat von uns hingegen drei begeisterte Da-müsst-ihr-bitte-sofort-alle-reingehen-Daumen nach oben bekommen. Wir sahen uns Keith Harings Gegen den Strich in der Hypo-Kunsthalle an. Im Gespräch erwähnen wir Pop Shops, die Keith-Haring-Foundation und deren Twitter-Account.

Die Ausstellung läuft nur noch bis zum 30. August, also Beeilung.

(Ein kleiner persönlicher Exkurs: Die Eva-Hesse-Ausstellung im Januar 2014 hat mir erstmals gezeigt, was Kunst mit mir machen kann – sie kann mir tiefe Ruhe schenken, mich aufwühlen, mich begeistern; alles Dinge, die ich vorher eher mit der Oper, Kinofilmen oder den üblichen weinseligen Abenden mit Freunden verbunden hatte. Keith Haring hat mir eine weitere neue Ebene vermittelt, was Kunst inzwischen mit mir macht: Er hat mich zum Heulen gebracht. Darüber spreche ich auch im Podcast – oder eher: stammele mit wackelnder Stimme rum.

Ich erwähne im Podcast den 30. Jahrestag von Live Aid, der einen Tag vor unserem Podcast war, und den ich auf Twitter gefeiert habe, indem ich den Auftritt von Queen verlinkte. Freddie Mercury war der erste Promi, bei dessen Tod ich geweint habe, und mein kleines Teenagerherz weint ehrlich gesagt noch immer. Keith Haring verbinde ich, genau wie Live Aid, sehr stark mit den 1980er Jahren, den Jahren, in denen ich erwachsen wurde. In den letzten Wochen sah ich zusätzlich eine neue deutsche Serie, die lustigerweise zuerst in den USA ausgestrahlt wird (die erste deutsche Serie mit Untertiteln, wenn ich der Wikipedia glauben darf), bevor sie im Herbst auch bei uns läuft: Deutschland 83. Ich lege sie euch jetzt schon mal ans Herz. Was sie mit Haring und Freddie zu tun hat: Auch sie hat mich sehr unvermittelt wieder in meine damalige Gefühlswelt geworfen. Ich habe die 80er als Jahrzehnt des Hedonismus, aber auch als Jahrzehnt der Bedrohung in Erinnerung. Es vermischen sich Dinge wie Tempo und (wie es die großartige Serie Pop 2000 mal ausdrückte) die Zeit, in der alle Art Direktoren werden wollten, es vermischen sich die Duran-Duran-Cover von Assorted Images, Art of Noise, Schulterpolster und Big Hair mit genau dem Gegenteil des bunten Visualisierens, nämlich der grauen Geheimnistuerei, den zwei Blöcken, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, den Verhandlungen über die Stationierung von SS20- und Pershing-II-Raketen, dem konstanten Gefühl der Bedrohung und der Hilflosigkeit gegenüber der Weltpolitik, in der die Bundesrepublik und die DDR anscheinend das geplante Schlachtfeld für WW3 waren. Dieses Gefühl vermittelt Deutschland 83 sehr gut, und in diese, meine Gefühlswelt, die ich nicht wieder abschütteln konnte, stolperten dann der 30. Jahrestag und die Haring-Ausstellung, und beide haben mich mehr fertiggemacht als ich erwartet hatte.

Aber nachdem ich mich ausgeheult hatte, konnte ich launig über Penisse reden. Alles wieder gut.)

01.10:30. Blindverkostung Wein 3.

Bei den Weinen war die Nummer 2 unser klarer Sieger, Florian und ich setzten Wein 1 auf den zweiten Platz, Felix mochte die Nummer 3 am zweitliebsten.

Wein 1: Steinmühle Sauvignon Blanc, Kollwentz, Burgenland/Österreich 2013, 13%, ca. 24 Euro.

Wein 2: Sauvignon Blanc, Old Coach Road, Nelson/Neuseeland 2014, 13%, ca. 8 Euro.

Wein 3: Sauvignon Blanc, Errázuriz, Chile 2014, 13%, ca. 8 Euro (beim Karstadt am Hauptbahnhof).

Links vom 19. April 2015: Auschwitz als Museum, Art as Therapy, Wordless Ads

Preserving the Ghastly Inventory of Auschwitz

Rachel Donadio schreibt in der NYT darüber, wie Konservator*innen und Restaurator*innen mit Auschwitz als Gedenkstätte umgehen.

„The job can be harrowing and heartbreaking, but it is often performed out of a sense of responsibility.

“We are doing something against the initial idea of the Nazis who built this camp,” said Anna Lopuska, 31, who is overseeing a long-term master plan for the site’s conservation. “They didn’t want it to last. We’re making it last.”

The strategy, she said, is “minimum intervention.” The point is to preserve the objects and buildings, not beautify them. Every year, as more survivors die, the work becomes more important. “Within 20 years, there will be only these objects speaking for this place,” she said.“

Es gibt auch Stimmen, die sich gegen die Erhaltung der Gebäude aussprechen:

„Over the years, there have been dissenting views about the preservationist approach. “I’m not convinced about the current plans for Auschwitz,” said Jonathan Webber, a former member of the International Auschwitz Council of advisers, who teaches in the European Studies program at the Jagiellonian University in Krakow. “If you have a very good memorial, you could achieve that without having to have all this effort on conservation and restoration,” he added.“

Ich lese gerade ein sehr spannendes Buch, über das ich auch irgendwann mal bloggen werde: Munich and Memory: Architecture, Monuments and the Legacy of the Third Reich (auf Deutsch dusselig übersetzt mit Architektur und Gedächtnis. München und Nationalsozialismus. Strategien des Verbrechens) von Gavriel D. Rosenfeld. Es geht um die Auseinandersetzung um den Wiederaufbau von München 1945. Die Stadt wurde zwischen 1943 und 1945 mindestens 66 Mal durch Luftangriffe beschädigt. Nur zweieinhalb Prozent aller Gebäude blieben unbeschädigt; zwischen einem Drittel bzw. der Hälfte aller Gebäude wurden schwer beschädigt bzw. zerstört, in der Altstadt 60%, in Schwabing 70%. Der größte Teil des Buches befasst sich mit den Diskussionen darüber, wie man die Stadt wieder aufbaut – oder ob überhaupt: Was wird abgerissen (wie die Maxburg), was originalgetreu wieder aufgebaut (wie der Alte Peter) und was nur äußerlich (wie die Frauenkirche, deren gotikisiertes Inneres nicht wiederherstellt wurde, oder die Residenz). Es gab sogar die Diskussion, Schuttberge zu erhalten, die als Mahnung gelten sollten.

Worauf ich hinaus will: Es gibt in der Denkmalpflege zwei Strömungen, die ich erst durch dieses Buch kennengelernt habe. Man kann Gebäude wegen ihrer stilistischen Reinheit oder wegen ihrer Authentizität erhalten. „Laut Alois Riegl bestand ein fundamentaler Widerspruch zwischen dem historischen Wert eines Gebäudes und seinem Alterswert.“ (Rosenfeld 2004, S. 57.) Der historische Wert besagt, dass die architektonische Form eines Gebäudes uns etwas über die jeweilige Zeit, ihre Geschichte und Kunstgeschichte sagt. Der Alterswert zeigt durch seinen Verfall bzw. seine Zeitspuren Geschichte in physischer Form. Georg Dehio sagte, dass auch die Zerstörung durch Geschichte respektiert werden müsse, wir können keinen Trost durch Täuschung erfahren. Nach 1945 wurde die letzte Position zeitweilig aufgegeben, indem man ein neues Prinzip der „schöpferischen Denkmalpflege“ etablierte (vor allem durch Rudolf Esterer): Es muss genug Originalmaterial vorhanden sein, um das Gebäude wieder aufzubauen, der Originalzustand musste dokumentiert vorliegen, um ihn nachzubauen, und die organische Einheit von Baumaterial und Architekturstil sollte wiederhergestellt werden.

Dieses Prinzip der schöpferischen Denkmalpflege wird auch in Auschwitz teilweise angewendet:

„In 2009, the infamous metal sign reading “Arbeit Macht Frei,” or “Work Makes You Free,” which hangs over the entrance gate, was stolen. It was found several days later elsewhere in Poland, cut into three parts. (A Swede with neo-Nazi ties and two Poles were later charged with the crime.) Mr. Jastrzebiowski helped weld the sign back into one piece. But the scars from the welding told the story of the sign’s theft more than of its long history, and so the museum decided it would be more authentic to replace the damaged sign with a substitute.“

In Auschwitz geht es natürlich nicht um eine kunsthistorische Auseinandersetzung, sondern um eine historische. Daher gibt es an diesem Ort auch andere Dinge zu bewahren als nur Gebäude. Manchmal bewahrt man sie allerdings nicht, und ich glaube, das ist richtig so:

„The museum has decided not to conserve one thing: the mass of human hair that fills a vast vitrine. Over the years, the hair has lost its individual colors and has begun to gray. Out of respect for the dead, it cannot be photographed. Several years ago, the International Auschwitz Council of advisers had an agonizing debate about the hair. Some suggested burying it. Others wanted to conserve it. But one adviser raised a point: How can we know if its original owners are dead or alive? Who are we to determine its fate?

It was decided to let the hair decay, on its own, in the vitrine, until it turns to dust.“

Art as Therapy

Noch ein Buchtipp: Art as Therapy von 2013. Die Website dazu gibt kurze Einblicke in die niedliche Idee, das mit Kunst alles heilbar ist. Ich würde eher auf „erträglich“ setzen. Hier ein Ausschnitt aus Pieter de Hoochs At the Linen Closet von 1663, das sich mit dem Problem „Meine Arbeit ist so banal“ befasst:

„The linen closet itself could easily be resented. It is an embodiment of what could, under an unhelpful influence, be seen as boring, banal, repetitive – even unsexy.

But the picture moves us because we recognise the truth of its message. If only, like de Hooch, we knew how to recognise the value of ordinary routine, many of our burdens would be lifted. It gives voice to the right attitude: the big themes of life – the search for prosperity, happiness, good relationships – are always grounded in the way we approach little things.“

(via @gedankentraeger)

Wordless Ads Speak Volumes In ‘Unbranded’ Images Of Women

Ein Artikel bzw. Radiobeitrag von NPR setzt sich mit Bildern in der Werbung auseinander. Was bleibt übrig, wenn wir die lustigen Headlines weglassen?

„In 2008, [Hank Willis] Thomas removed the text and branding from ads featuring African-Americans, creating a series he called Unbranded, which illustrated how America has seen and continues to see black people.

In the run-up to the 2016 election — and the possibility of a white woman being nominated — he’s mounted a new exhibit, featuring women in print. It’s called Unbranded: A Century of White Women, and it features images from mainstream commercial print advertisements from 1915 to today.

Stripping away the normal elements of an advertisement and reducing it to pure image is powerful, Thomas says.

“I think what happens with ads — when we put text and logos on them, we do all the heavy lifting of making them make sense to us,” he tells NPR’s Linda Wertheimer. “But when you see the image naked, or unbranded, you start to really ask questions.

“That’s why we can almost never tell what it’s actually an ad for, because ads really aren’t about the products. It’s about what myths and generalizations we can attach, and the repetition of imagery of a certain type.”“

(via @ellebil)

Fehlfarben 5: „Art is a guarantee of sanity.“ … „As if.“

@sammykuffour, @munifornication und ich haben wieder gepodcastet. Heute im Programm: zwei Ausstellungen und drei österreichische Rotweine.

Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 76 MB, 95 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung, Vorstellungsrunde und Blindverkostung Wein 1.

00.02:20. Unsere erste Ausstellung: Louise Bourgeois – Strukturen des Daseins: Die Zellen im Haus der Kunst. Wir erwähnen bei der Besprechung unter anderem ihre Maman, The Last Climb, Cell XV (For Turner) und Cell XVIII (Portrait).

Die Ausstellung läuft noch bis zum 2. August und hat von uns drei begeisterte Daumen nach oben bekommen.

00.28.50: Blindverkostung Wein 2.

00.53.50: Blindverkostung Wein 3.

01.05.00: Ausstellung Nr. 2 läuft ebenfalls im Haus der Kunst und zwar noch bis zum 31. Mai: Mark Leckey – Als ob. Sie kam bei uns nicht ganz so gut an, hat aber für eine durchaus kontroverse Diskussion gesorgt. Zwei Querdaumen, einer nach unten. Wir sprechen unter anderem über Fiorucci made me hardcore, das man sich hier anschauen kann.

Bei den Weinen waren wir uns auch nicht ganz einig: Wein 3 landete bei uns allen auf Platz 3, Florian mochte Wein 2 am liebsten, Felix und ich Wein 1.

Wein 1: Gsellmann Heideboden „Quadrophenia“, ein Cuvée aus Zweigelt, Saint Laurent, Pinot Noir und Blaufränkisch, Burgenland, 2011, 13%. Laut Felix kostet die Flasche beim Backerl 20 Euro, eine Google-Suche gibt irgendwas zwischen 11 und 15 Euro an.

Wein 2: Kollwentz Blaufränkisch, Burgenland, 2009, 14%. Den habe ich bei Rotweißrot für um die 20 Euro gekauft.

Wein 3: Domäne Wachau, Blauer Zweigelt „Himmelsstiege“, Wachau, 2013, 13%. (Verlinkt ist der 2012er.) Kostet um die 9 Euro.

Bonuswein, weil der Abend so nett und die Gläser irgendwie schon leer waren: Schmelzer, Blauer Zweigelt, Burgenland/Neusiedlersee, 2013, 13,5%. Empfehlung! Auch beim Backerl gekauft.

„Stoppt die Banalisierung!“ „Stoppt Ausrufezeichen in Überschriften!“

Wolfgang Ullrich polemisiert: Nicht alle Menschen sollten in Museen rumlungern. Ich polemisiere mal mit.

„Jetzt sollen selbst die Blinden sehen. In der National Gallery in London stanzte man dazu eigens ein Gemälde von Camille Pissarro auf eine Weise in Papier, dass sich wichtige Orientierungspunkte des Bildes ertasten lassen. Nicht nur seine Komposition, sondern sogar Farbverläufe werden auf diese Weise übersetzt, wie kürzlich der Dokumentarfilm National Gallery zeigte. Man kann das für verdienstvoll oder für vergeblich halten, es verrät vor allem viel über heutige Ansprüche der Kunstvermittlung: Niemand, wirklich niemand soll von der Beschäftigung mit Kunst ausgeschlossen werden.“

Und das ist ganz schlimm, weil …? Weil wir Kunsthistoriker*innen, Museumsmenschen, Künstler*innen irgendwelche Hoheiten abgeben müssen? Uns nicht mehr nur mit uns selbst befassen? Andere an einem wundervollen kulturellen Gut teilhaben lassen? Fürchterlich, echt.

„Das aber erinnert an die Tradition christlicher Missionskultur. Wie es in ihr darum ging, jedem Menschen, egal, wo und wie sozialisiert, die Chance zu geben, Gottes Wort kennenzulernen, will man heute ausnahmslos alle mit Kunst erreichen. Und wie der erfolgreich Missionierte ewiger Verdammnis entgehen kann, glaubt man auch im Fall der Kunst daran, dass durch ihre Vermittlung viel Gutes passiert: Extreme Emotionen ließen sich ausgleichen und Integrationsfortschritte erzielen, ja Kunst könne sinnstiftend wirken, zu Seelenheil und kognitiven Mehrleistungen führen, so heißt es in zahlreichen Publikationen. Die Missionsunrast des Christentums hat eine Nachfolge in der Vermittlungsunrast heutiger Kunstmuseen gefunden.“

Ich persönlich glaube sehr an eine sinnstiftende Wirkung von Kunst. Ich erwarte sogar eine von ihr. Nicht vom jedem Werk, nicht von jeder Künstler*in, aber ja: Ich will, dass Kunst etwas macht. Mit mir, im besten Fall mit der Gesellschaft. Ich will keine Kunst, die hübsch über dem Sofa aussieht, ich will Kunst, die aufwühlt, bewegt, beeindruckt, ärgert. Natürlich gibt es Kunst, die so offensichtlich missioniert, dass man nur grinsend vor ihren guten Absichten abwinkt, aber das sei ihr verziehen. Andere Kunst ist einfach nur da, und es liegt an mir, was ich mit ihr mache. Genau wie mit der Religion, bei der ich auch die Freiheit habe, sie links liegen zu lassen, mich ihr anzunähern oder sie zu umarmen. Ich kenne kein Museum, das mit Bibel und Tropenhelm Kontinente erobert, insofern halte ich den Vergleich für sehr hinkend. Ich sehe Museen, die sich bemühen, aber es zwingt mich niemand, diesen Bemühungen zu folgen.

„Tatsächlich erstaunt, wie sich die Museen mit der Entdeckung bisher noch kunstferner Milieus gegenseitig übertrumpfen. Fast schon selbstverständlich sind Veranstaltungen für Menschen mit Migrationshintergrund, Programme für Demenzkranke oder Angebote der sogenannten Geragogik für ältere Menschen. Das Lenbachhaus in München bietet auch Aktionen für “Erwachsene mit Babys”. In der Ankündigung kann man lesen: “Der inhaltliche Schwerpunkt ist das Familienporträt und die Darstellung von Kindern in der Kunst. Kein strenger Ablauf und kein vorgegebener Plan diktieren den gemeinsamen Rundgang, sondern die Interessen und Bedürfnisse der Teilnehmenden – ob Stillpausen oder Babygeschrei.”

Ist das nicht großartig, dass wir nicht mehr mit dem Großen Kunstführer im Anschlag durch Museen gehen müssen oder uns mit Audioguides abkapseln, sondern Kunst gemeinsam erleben können? Ist es nicht toll, dass sich die Institutionen auf neues Publikum einstellen, anstatt arrogant zu sagen, hier kommt nur das Bildungsbürgertum rein und sonst keiner? Ist es nicht wunderbar, wenn alte Menschen lernen, demente Menschen umsorgt und Menschen mit Migrationshintergrund einbezogen werden?

„Etwas präziser – und zugleich allgemeiner – könnte man die Hochkonjunktur der Kunstvermittlung als Folge einer Verbindung von Kunstreligion und Sozialdemokratie beschreiben. Verdankt sich jener der Glaube an die heilende Kraft von Kunst, so dieser der Anspruch, nicht nur Bildungs- oder Geldeliten dürften davon profitieren. “Das Museum der Gegenwart öffnet sich, baut Hürden ab, spricht neue Zielgruppen an und schafft neue Beteiligungsmöglichkeiten. Auf diese Weise entstehen neue Identitäten.” So formulierte es etwa Thomas Krützberg, Kulturdezernent in Duisburg.“

Nochmal: Fürchterlich, echt.

„Kunstmuseen sind innerhalb der letzten zwanzig, dreißig Jahre zu führenden Institutionen engagierter Sozialpolitik geworden. Dass sie noch andere Aufgaben haben, ja zwei Jahrhunderte lang vornehmlich dem Sammeln, Bewahren und Forschen gewidmet waren, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Hätten Staats- und Landesbibliotheken, ursprünglich aus demselben Geist wie Museen entstanden, dieselbe Entwicklung wie diese genommen, müssten sie heute einen Großteil ihrer Anstrengungen darauf verwenden, die Zahl der Ausleihen und Benutzer von Jahr zu Jahr zu erhöhen, und Politiker würden von Bibliotheksdirektoren verlangen, neue Benutzerkreise zu erschließen. Es würde nicht mehr reichen, nur ein bildungsbürgerliches und akademisches Publikum anzusprechen, vielmehr müsste man sich genauso um soziale Randgruppen kümmern und etwa eigene Kursprogramme für Analphabeten einrichten, die endlich auch zu Lesern werden sollen. Immerhin seien die Bibliotheken ja mit Steuergeldern finanziert!“

Schon wieder ein Vergleich, der Krankengymnastik braucht. Auch Bibliotheken haben unterschiedliche Zielgruppen. Nicht jede Bibliothek ist eine Stabi oder UB, stattdessen holen Stadtteilbibliotheken und Bücherhallen das nicht-akademische Publikum ab und versorgen es mit Bestsellern, DVDs und kindgerechter Literatur. Insofern muss sich nicht jede Bibliothek neue Benutzerkreise erarbeiten – die verteilen sich schon ganz brav von alleine. Die Kurse für Analphabet*innen halte ich übrigens für eine gute Idee: Wo, wenn nicht in einer Bibliothek, erschließt sich der Sinn des Lesens besser?

Dass Museen dem Sammeln, Bewahren und Forschen gewidmet sind, schließt übrigens nicht aus, dass man auch einfach in ihnen rumbummeln kann. Bis jetzt hat mich noch kein Besucher dabei gestört, wenn ich für die Uni vor einem Bild stand. Das geht ganz prima gleichzeitig.

„Niemals zuvor in der Geschichte wurde mit Kunstwerken so viel gemacht wie heute. Um sie herum ist eine enorme Geschäftigkeit entstanden, mit der seltsamen Erwartung, dass jedes Kunstwerk jedem Menschen zu jedem Zeitpunkt etwas zu geben habe. Mochte das Vermitteln von Kunst in den Jahren nach 1968 aus einem Geist der Emanzipation und Freiheit heraus entstanden sein, so ist daraus ein Imperativ geworden, dessen problematische Folgen erst allmählich sichtbar werden. So weist die Kunstsoziologin Kathrin Hohmaier in einer jüngst publizierten Studie nach, was man bereits befürchten musste, nämlich dass Kunstvermittlung sogar negative Auswirkungen zeitigen kann. Im untersuchten Fall ging es darum, Jugendlichen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne Erfahrung mit Museen einen Zugang zu moderner Kunst zu bahnen. Allerdings entwickelten sie während des Vermittlungsprogramms “ein hochgradig präsentes Gefühl der sozialen Exklusion im musealen Raum” – und schließlich fanden sie moderne Kunst noch sinnloser als zuvor, es wuchsen “ihre Vorurteile ihr gegenüber”. Hohmaier vermutet, dass die Kunstvermittler sich ihrer Zielgruppe zu sehr anpassten: Statt den Jugendlichen Wissen oder Interpretationen zu den Werken zu bieten, beschränkten sie sich darauf, sie, ausgehend von Exponaten, selbst malen zu lassen. Damit aber wurde ihnen “ihre eigene Bildungsferne […] noch stärker ins Bewusstsein gerufen”.“

Der Punkt geht an Ullrich. Das halte ich auch für eine selten beknackte Idee, sich Kunst anzunähern, indem man sie imitiert. Ich erinnere mich an meinen schulischen Kunstunterricht, in dem unser Lehrer uns Beuys so nahebringen wollte: Wir sollten das Erdtelefon in anderer Form nachbilden. Ich habe einen Apfel neben eine alte Schreibmaschine montiert und hatte keine Ahnung, warum.

Ich frage mich, woher diese Idee kommt, sich Kunst so zu erschließen. Dinge nachzubauen, um sie mechanisch zu verstehen, ja, das kapiere ich, aber Kunst ist meist mehr als ein konstruiertes Objekt. Kunst heißt oft, dass diesem Objekt eine Bedeutung eingeschrieben wurde, die nicht durch bloßes Nachbilden erkannt werden kann. Hier sehe ich es als sinnvoller an, mich dem Werk mit Wissensvermittlung oder Interpretationsansätzen zu nähern. Die Kunstvermittler*innen könnten eben diese vorgeben und dann darüber diskutieren, anstatt Menschen mit Fragezeichen auf der Stirn ein paar Stifte in die Hand zu drücken.

Gerade Beuys ist durch pures Sehen kaum nachzuvollziehen – allerdings ist er deshalb für mich auch immer reizvoller geworden. Seine Werke haben 20 Jahre in mir rumort, bis ich endlich mal ein Buch über ihn gelesen habe bzw. länger vor seinen Werken rumgestanden habe. Ich bin mir inzwischen nicht mal sicher, ob ich ihn komplett verstehen will – meist reicht es mir, mich mit seinen Werken zu konfrontieren oder ihm bei der Arbeit zuzuschauen, z. B. im Lenbachhaus, wo ein Video seiner Performance I like America and America likes me läuft. Das wird bei mir meist zur Meditation, wenn ich lange bei Beuys rumhänge und weniger zur kunsthistorischen Auseinandersetzung. Aber auch hier: Wer sagt, dass das die einzig richtige Art ist, sich mit Kunst auseinanderzusetzen? Ich mag es sehr, bei einigen Werken gerührt zu werden, von anderen fasziniert zu sein – und wieder andere gelangweilt links liegen zu lassen. Daher stimme ich Ullrich mal wieder nicht zu, wenn er sagt, dass „jedes Kunstwerk jedem Menschen zu jedem Zeitpunkt etwas zu geben habe“.

„Kunstvermittler – zum allergrößten Teil Kunstvermittlerinnen – sind höchst findig, wenn es darum geht, ihr Publikum dort abzuholen, wo es steht. Nur liefern sie es leider genau dort auch wieder ab. Sie bemühen sich gerade nicht um Bildung oder Aufklärung; vielmehr wird der jeweiligen Klientel suggeriert, sie befinde sich schon auf Augenhöhe mit der Kunst und stecke selbst voller kreativer Potenziale. Eigentlich gehe es nur noch darum, ein paar Unsicherheiten abzubauen.

Doch diese Einschätzung ist fatal. In ihrer Folge werden die Werke nämlich so vermittelt, dass nicht mehr viel von ihnen übrig bleibt. Vielmehr heißt Vermittlung von Kunst, diese bis zur Unkenntlichkeit zu verharmlosen. Hatten die Bildungsbürger noch den Ehrgeiz, sich die Kunst, die sie selbst nie hätten kaufen können, intellektuell anzueignen und sich damit als ihre wahren Besitzer zu fühlen, ja steigerte jemand wie Bazon Brock in seinen legendären Besucherschulen auf der Documenta das Selbstbewusstsein des Publikums noch durch ein Mehr an Bildung, verfolgt die Kunstvermittlung von vornherein ein anderes Ziel. Das Unbehagen, das eine schwierige, schroffe und rätselhafte Kunst auslöst, wird abgebaut, indem man all diese Eigenschaften durch Aktionismus überspielt und so tut, als sei Kunst letztlich doch ganz einfach und verlange keine Zugangsvoraussetzungen. Kunstvermittlung ist insofern vor allem Anästhesie: Sie dimmt alles auf eine vage Atmosphäre von Kreativität herunter.“

Ich bin darüber gestolpert, dass Ullrich hier als einzige Ausnahme vom generischen Maskulinum im Artikel auf die „Kunstvermittlerinnen“ hinweist. Ich kann nur spekulieren, ob hier eine latente Abneigung gegen die Mädels im Kunstbetrieb herrscht, die es weiblich-klischeehaft sozial und mütterlich eingestellt wagen, den dementen Migranten Kunst näherzubringen anstatt männlich-klischeehaft zu forschen, zu lehren und wissenschaftliche Karriere zu machen, die nur von wenigen Frauen gestört wird. Wenn ich mich in den Seminarräumen und Hörsälen umgucke, sehe ich allerdings, dass meine Kommilitonen zu ungefähr 90 Prozent weiblich sind. Wahrscheinlich gibt es daher schlicht mehr Kunstvermittlerinnen als Kunstvermittler, und der Seitenhieb Ullrichs geht peinlich ins Leere.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob wirklich alle Besucher*innenführungen Kreativität zum Ziel oder Ausgangspunkt ihrer Vermittlung haben. Ich gebe zu, ich mache selten Führungen mit, weil ich lieber selber gucke, aber man kommt ja nicht darum herum, auch mal bei einer zuzuhören, wenn sie im gleichen Raum stattfinden, in dem man selber steht. Spontan fällt mir eine Führung zu Mondrian im Bucerius-Kunst-Forum in Hamburg ein, wo eine Vermittlerin gerade einige Bilder mit der Biografie Mondrians in Verbindung brachte. Ein weiteres Mal hörte ich in der Hypo-Kunsthalle in München bei Rembrandt, Tizian, Bellotto einer Vermittlerin zu, wie sie vor einem Stillleben den Besucher*innen erzählte, ab wann welche Früchte überhaupt in Europa vorhanden waren, um gemalt werden zu können. Beide Ansätze fand ich sehr stimmig, und es musste auch niemand Blumen aus Fimo nachbasteln, um sich an einem floralen Bild erfreuen zu können. Bei einer dritten Führung in der Neuen Pinakothek sah ich allerdings eine Kindergartenklasse vor den Impressionisten auf dem Boden liegen und malen. Und das war genauso stimmig, weil es zu kleinen Kindern passte.

„Lange erwartete man gerade im linken Milieu, dass Kunst weh tue und das Bestehende negiere. Für Philosophen wie Theodor W. Adorno oder Herbert Marcuse bedeutete es nicht weniger als das Ende der Kunst, sie zu vermitteln und dabei zu verniedlichen, ja mit der Realität zu versöhnen. Heute jedoch müssen Vertreter einer derart kunstvermittlungskritischen Position mit dem Vorwurf rechnen, elitär zu sein. Sind Kritiker der Kunstvermittlung nicht zu verwöhnt und abgehoben, um erkennen zu können, in welch bedauernswerter Lage sich unterprivilegierte Minderheiten befinden? Sind sie sogar gegen diese Minderheiten?

Kunstvermittlung konnte sich auch deshalb widerstandslos durchsetzen, weil kein Museumsdirektor in den Verdacht geraten will, minderheitenfeindlich zu sein. Dabei ist dieser Verdacht alles andere als gerechtfertigt. Übertragen auf andere Bereiche hieße das, auch dann Diskriminierung zu unterstellen, wenn jemand meint, Senioren brauchten sich nicht mit Musik von Jugendlichen zu beschäftigen oder für Leute ohne Schulabschluss sei höhere Mathematik zu schwierig. Tatsächlich wird sonst überall akzeptiert, dass manchen die Voraussetzungen für bestimmte Gebiete fehlen. Warum sollte das nur im Fall der Kunst anders sein? Sofern ebendies behauptet wird, zeigt sich nochmals die Vereinigung von Kunstreligion und Sozialdemokratie: Für die Kunst wird ein absoluter, kein bloß relativer Wert reklamiert, sie wird zu etwas erklärt, das ausnahmslos für alle gut sein soll.“

Kunst ist für alle gut, genau wie Musik oder Tanz oder Literatur. Aber niemand wird gezwungen, sich mit ihr zu beschäftigen. Das ist für mich der große Irrtum in Ullrichs Polemik. Ich muss nicht ins Museum, aber wenn ich schon da bin, finde ich es nett, dass man mir verschiedene Angebote macht, mich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.

Natürlich ist meine Erwartungshaltung als Kunstgeschichtsstudentin eine andere als die von vor 20 oder 35 Jahren. Vor 20 Jahren gab’s für mich die Impressionisten und fertig, mehr wollte ich gar nicht sehen, weswegen ich auch nicht mehr gesehen habe. Vor 35 Jahren allerdings haben mich meine Eltern von einem Museum ins nächste geschleppt, genau wie ins Theater und in die Oper und ins Ballett. Meine Eltern haben beide bereits mit ungefähr 16 Jahren angefangen zu arbeiten und hatten in ihrer Kindheit und Jugend keinen Zugang zu den ganzen kulturellen Einrichtungen, in die meine Schwester und ich dann mitgenommen wurden. Ich rechne es beiden bis heute sehr hoch an, dass es für mich nie eine Schwelle zu Kultur gab, über die ich mich nicht getraut habe. Ich kann mir aber vorstellen, dass es andere Menschen gibt, denen das nicht so geht. Was ist falsch daran, diese Menschen dort abzuholen, wo sie sind?

Es gibt ein Motto, das ich sehr mag, auch wenn es fies nach Kissenstickerei klingt: „Start where you are. Use what you have. Do what you can.“ Wenn du nichts mit Beuys anfangen kannst: Lies ein Buch. Oder geh einfach mal gucken. Oder frag im Museum, ob es speziell dafür Führungen gibt. (Und hoffe dann darauf, dass du kein Werk von ihm nachbauen musst.) Ich kann wirklich überhaupt nichts Schlechtes daran sehen, wenn verschiedenen Menschen Kultur nahegebracht wird. Natürlich findet das auf einer anderen Ebene statt als das, was wir an der Uni machen. Aber das ist doch der Witz an der Sache: Die Uni macht ihr Ding und Museen machen ein anderes.

Ich gebe Ullrich völlig recht, wenn er sich gegen eine Banalisierung von Kunst zur Wehr setzt und eine gewisse Erwartungshaltung an Kunstvermittlung hat. Aber nochmal: Sich generell gegen Kunstvermittlung auszusprechen – und das ist für mich eher der Tenor seines Artikels – halte ich für höchst arrogant.

Edit, 13.4.: Auf Let’s talk about arts diskutiert Ullrich in den Kommentare mit und erklärt unter anderem, dass die olle Überschrift nicht von ihm ist.

Kunstgeschichtshausarbeit „Raus aus der Kathedrale: Was die Kunstgeschichte von Software lernen kann“

Ich musste im vergangenen fünften Semester insgesamt drei Hausarbeiten schreiben, weswegen ich eine schon während des laufenden Semesters beginnen wollte, um auch ja rechtzeitig fertig zu werden – Oma Gröner läuft halt nicht mehr so schnell – und das war diese hier. Das heißt, ich hatte bei ihr nicht den konzentrierten Luxus, den ich bei den beiden Geschichtshausarbeiten hatte, die ich nach Vorlesungszeitende schrieb: Ich hatte noch Seminare, musste Hausaufgaben machen und für die Klausuren lernen, und dann schrieb ich zwischendurch eben noch eine dicke Hausarbeit, las bergeweise Bücher, schrieb wieder, las bergeweise Aufsätze, schrieb und las und schrieb und wusste bei den ganzen Ablenkungen zum Schluss nicht mehr, ob das total toll oder total mies war, was ich produziert hatte.

Diesen Punkt des Zweifels erreiche ich irgendwann bei jeder Arbeit, weil ich schließlich jeden Satz 800 Mal gelesen, korrigiert und nochmal gelesen und nochmal korrigiert habe – ich sehe ab einem gewissen Zeitpunkt den Sinn vor lauter Buchstaben nicht mehr und kann qualitativ nicht mehr einschätzen, was ich da lese. Aber bei der hier war ich besonders verwirrt, vor allem, weil ich noch das Feedback meiner sechs Reviewer*innen habe einfließen lassen und daher nochmal über alles gegangen bin.

Scheint aber ganz okay geworden zu sein, wenn ich mir die Mail des Dozenten anschaue, die gestern abend kam:

„Eine solche Note habe ich, glaube ich, noch nie vergeben, musste mich aber fragen, ob ein Argument dagegen spricht. Vielmehr möchte ich Sie fragen, ob ich diesen Text verwenden darf, um ihn anderen Studierenden als vorbildliches Muster für Aufbau und Bibliographie weiterzugeben.“

Darf der Dozent natürlich. Das kleine Fünftsemester ist sehr geschmeichelt.

Zum Inhalt: Mein Referatsthema lautete schlicht „Software“. Anstatt Computergeschichte nachzuerzählen, habe ich im Referat versucht, die vielen Möglichkeiten aufzuzeigen, in denen Software in der Kunstgeschichte (oder der Kunst) zum Einsatz kommt. Ich begann natürlich mit den (haha) Basics, erzählte von Closed-Source-Software und dem Weg zu Open Source, erwähnte Die Kathedrale und der Basar und wandte einige der dort erwähnten Prinzipien zur Softwareproduktion auf die Kunstgeschichte an. Mein Hauptaugenmerk lag auf dem kollaborativen Arbeiten; ich erwähnte Beispiele wie Madison, ARTigo oder das Brooklyn Museum, das sich über Hinweise von Besuchern freut anstatt großkotzig darüberzustehen, was der Pöbel will. („… and we welcome any additional information you might have.“)

Ich sprach über Clay Shirkys Publish first, filter later, über Open Access, über die vergrößerte Sichtbarkeit und bessere Korrigierbarkeit von Texten in e-Books und Blogs und erwähnte meine eigene Hausarbeit, die in den ersten zehn Tagen nach Veröffentlichung beachtliche 230 Mal heruntergeladen wurde – und ich behaupte, ich habe nicht unbedingt viele Kunsthistoriker*innen unter meinen Leser*innen. Ich sprach über Jeff Koons‘ Instagram-Account (der inzwischen arg leergefegt aussieht), dass Vorzeichnungen von Gemälden quasi Betaversionen seien und dass heute alles im Fluss sei – wie auch bei Software, die nie fertig wird und stets ein Update bekommt.

Aus diesem Sammelsurium wünschte sich der Dozent eine Arbeit über die veränderten Publikationsmöglichkeiten für Kunsthistoriker*innen. Das ist sicherlich kein speziell kunstwissenschaftliches Thema – auch die Naturwissenschaft arbeitet mit Open Access –, aber für mich persönlich war es sehr reizvoll, sich intensiver mit diesem Thema auseinanderzusetzen, gerade weil ich eine Freundin des Teilens bin, des offenen und unbeschränkten Zugangs zu Informationen und des Austauschs von Wissen. Und nebenbei habe ich viel über Computer- und Softwaregeschichte gelernt. (Das zitierte Buch von Walter Isaacson – The Innovators: How a Group of Inventors, Hackers, Geniuses and Geeks Created the Digital Revolution – liest sich übrigens wie geschnitten Brot, auch aus feministischer Perspektive.)

Hatte ich schon auf Twitter erledigt, aber hier noch mal der Dank an meine Reviewer*innen, die mir sehr geholfen haben.

Enjoy. Mach’s gut, fünftes Semester.

(1,0. Sehr glücklich.)

Links vom 5. April 2015

Viel Weiß, viel Vase, viel Bett

Die von mir sehr geschätzte @anika_meier (unter anderem deshalb und deshalb) hat im Monopol-Magazin über Instagram geschrieben:

„Stilprägend sind zum einen technische und formale Gegebenheiten, die große Schärfentiefe, die Größe des Bildschirms, auf dem die Fotos angesehen werden, und das quadratische Bildformat. Fast alles spielt sich in der Fläche ab, alles wird nah herangeholt, die Ausschnitte werden eng gewählt und die Motive werden frontal, am besten gleich aus der Zentralperspektive fotografiert. Die Komposition erstarrt, das Bild wird statisch. Zum anderen ist das Vorbild das vierteljährlich erscheinende amerikanische Lifestyle-Magazin „Kinfolk“ für den modernen Hipster mit wenig Text und vielen Bildern, das in den letzten Jahren zur Bibel des guten Geschmacks mutierte und eine eigene Ästhetik prägte. Wer wissen möchte, wie man ein Ei richtig kocht, wird hier fündig. Und wer sehen möchte, wie man seinen Besitzstand am besten kuratiert und sein Leben ästhetisiert, lernt hier seine Lektion.“

Meier verweist in ihrerm Artikel auf einen Text von Wolfgang Ullrich, der 2013 in der NZZ erschienen ist und die Instagram-Ästhetik anders interpretiert – weit weniger statisch und inszeniert, sondern unscharf, verwackelt, für den Moment und nicht für die Ewigkeit:

„Heute hingegen besteht das Neue darin, dass man schnell entstandene Bilder auch schnell reproduzieren und an jeden Ort der Welt schicken kann. „Live“ ist kein Privileg des Fernsehens mehr, vielmehr verfügt fast jeder Amateur inzwischen über die Möglichkeiten maximaler Bildmobilität. Damit aber verändert sich der Charakter vieler Bilder ein weiteres Mal. Statt auf Komposition oder Originalität zu achten, geht es darum, das Live-Ereignis oder einen besonderen Moment einzufangen und ein Flair von Spontaneität, Ausgelassenheit, Sensation rüberzubringen. Für den, der eine Foto geschickt bekommt, ist wichtiger und emotionaler als das, was er sieht, die Tatsache, ohne relevante Zeitverzögerung mitzubekommen, was anderswo gerade geschieht. Und es geht darum, wer einen daran teilhaben lässt. Nicht das Bild an sich hat Bedeutung, sondern es zählt, wann, wo und wie es gesehen werden kann. In einem klassischen Sinn gut gemacht brauchen die Bilder also nicht zu sein; sie leben vor allem von ihrer Aktualität.

Manche Flüchtigkeit – ein verrutschter Bildausschnitt, eine Unschärfe, grelles Gegenlicht – wird dann sogar vom Manko zum Wert, dokumentiert sich darin doch die Eile, mit der ein Bild gemacht wurde, um andere möglichst schnell in ein Ereignis mit einzubeziehen.“

Die Texte scheinen sich zu widersprechen, aber: Meier verweist auch auf Roland Barthes, dessen Essay Die helle Kammer ein Stardardwerk zur Fotografie ist. Ich zitierte ihn mal in diesem Blog:

„Eine Photographie ist immer die Verlängerung dieser Geste; sie sagt: das da, genau das, dieses eine ist’s! und sonst nichts; sie kann nicht in den philosophischen Diskurs überführt werden, sie ist über und über mit der Kontingenz beladen, deren transparante und leichte Hülle sie ist. Zeige deine Photographien einem anderen; er wird sogleich die seinen hervorholen und sagen: „Sieh, hier, das ist mein Bruder; das da, das bin ich als Kind“ und so weiter; die PHOTOGRAPHIE ist immer nur ein Wechselgesang von Rufen wie „Seht mal! Schau! Hier ist’s!“; sie deutet mit dem Finger auf ein bestimmtes Gegenüber und ist an diese reine Hinweis-Sprache gebunden. Daher kann man zwar sehr wohl von einer Photographie sprechen, doch, wie mir scheint, mitnichten von der PHOTOGRAPHIE.“

Der meiner Meinung nach bemerkenswerteste Satz des Textes (weil so schön zitierfähig) stammt von Olly Lang, der sagte, dass Fotografie immer mehr zur Performance Art werde. Das mag auf die Ecken von Instagram zutreffen, in denen sich Meier und Lang bewegen – meine Timeline ist hingegen wild gemischt, da ist zwischen der natürlich vorhandenen „My life on Instagram“-Idylle auch Platz für die dokumentarisch und feministisch geprägte #609060-Bewegung, die ein ganz anderes Ziel hat als etwas darzustellen – nämlich genau das Gegenteil, und ner Menge Essen, das auch nicht immer aussieht wie #kinfolkmylife.

Ich glaube, das macht den Reiz dieses Mediums aus, genau wie es den Reiz jedes Mediums ausmacht: die Mischung, die persönlich kuratiert werden kann. Ich stelle mir meinen Twitterstream und meine Facebook-Timeline zusammen, genau wie ich früher ausgewählt ferngesehen habe und nicht beliebig jedes Buch im Regal hatte, sondern nur die, die mir zusagen. Die Vielfalt eines jeden Mediums ist ihm immanent, genau wie gewisse Regeln, die es in der Anfangszeit formten, aber sofort durchbrochen, erweitert, vernachlässigt wurden. Sonst hätten wir bis heute nur die Bibel als gedrucktes Werk, nur wissenschaftliche Auseinandersetzungen als Zeitschrift und nur Nachrichten im Fernsehen.

Kunst für alle?

Nochmal Monopol-Magazin: Markus Neuschäfer schreibt über das leidige Thema Urheberrecht.

„Wie der Urheberrechtsspezialist Till Kreutzer von der Infoplattform iRights feststellt, behindert die aktuelle Rechtslage ebenso den freien Zugang wie auch die kreative Entfaltung. Die in der Ausstellung vertretenen Künstler dagegen kopieren völlig hemmunglos. In zahlreichen Grafiken werden bekannte Werke der Kunstgeschichte und geschützte Marken verwendet, gerne auch Schattenrisse der Disney-Maus mit Erektion oder abgetrenntem Arm. In seinem Plakat „Die vier apokalyptischen Reiter“ ergänzt Klaus Staeck das gleichnamige Werk Albrecht Dürers um die Namen von bekannten Internetkonzernen.

Auch wenn es sich bei der Grafik selbst um einen Remix handelt, gilt für das neu entstandene Werk das Staeck-Copyright: Eine kritische Rekontextualisierung wie in der surrealistischen Montage „La femme cachée“ wäre ohne explizite Genehmigung ebensowenig möglich wie eine Abbildung in der Wikipedia. Eine Auseinandersetzung mit der Ausstellung in Form von Appropriation Art, Twitter-Posts oder Blogartikeln setzt umständliche Genehmigungen, hohe Gebühren und bürokratische Leidensfähigkeit voraus. Falls die Urheber zu spät antworten oder der Kontext nicht genehm erscheint, muss der demokratisch-kreative Besucher mit einer Abmahnung rechnen, sofern er nicht ganz auf den Beitrag verzichtet.“

Neuschäfer spricht unter anderem meine Lieblinge vom Rijksmuseum und ihr Rijksstudio an, wo ein Museum mal eben die Kontrolle über große Teile ihrer Sammlung aus der Hand gibt und User*innen einfach machen lässt:

„Wie man moderne Kunstvermittlung innovativ und gelassen gestaltet, demonstriert das Amsterdamer Rijksmuseum. In dem Online-Portal Rijksstudio kann man 190.000 Bilder in höchster Qualität herunterladen. Da die meisten Urheber bereits seit mehr als 70 Jahren verstorben sind, stehen die Inhalte in der public domain. Diese Großzügigkeit ist keine Ausnahme, neben anderen Institutionen bietet auch das EU-Projekt Europeana sämtliche Inhalte mit einer CC0-Lizenz an. Die Datamanagerin des Rijksmuseums Lizzy Jongma zeigt sich vollkommen unbesorgt vor dem digitalen Kontrollverlust: „We are so happy with whatever people do with our collection!“ Auch Direktor Taco Dibbits freut sich noch im Falle von bedruckten Kleidern, Sitzsäcken und Toilettenpapier herzlich über die hohe Reproduktionsqualität der Werke und die wachsende Bekanntheit des Hauses. Der kunsthistorischen Bewertung von Vermeer hat dies bislang nicht geschadet.“

Digitale Sammlung des Staedel

So ganz „einfach mal machen“ kann man bei der neuen digitalen Sammlung des Frankfurter Staedelmuseums nicht, weil man einige Vorgaben hat, aber anhand derer kann man sich sehr entspannt durch Teile der Sammlung hangeln: assoziativ, spielerisch und informativ. Okay, da hätte von mir aus noch deutlich mehr kommen können, und ich lese lieber als dass ich zuhöre, weswegen ich auch keine Audioguides mehr ertrage, aber für den ersten Aufschlag finde ich das alles schon sehr schön, innovativ, benutzer*innenfreundlich und vor allem spannend.

„Der Historiker von morgen wird Programmierer sein oder es wird ihn nicht mehr geben“

Das Blog digitale : Geschichte „begleitet die Veranstaltungen im Sommersemester 2015 der Gastprofessur von Mareike König für Digital Humanities am Institut für Geschichte der Universität Wien.“ König twittert übrigens auch, und sie ist eine von den Twitter*innen, von denen ich so ziemlich jeden Link anklicke. Mein Lieblingssatz im Artikel, der gnadenlos in der BA-Arbeit zitiert werden wird, in der ich eine Datenbank konzipieren werde (Hervorhebung von mir):

„Durch den Computer konnte nach Eingabe der Daten nicht nur eine einzige Kurve erstellt werden, wie man sie auch von Hand hätte errechnen können (wenn auch mit einiger Mühe). Sondern es war möglich, in kurzer Zeit die Daten in verschiedenen Graphiken auszugeben und miteinander in Bezug zu setzen.“

Das ist für mich der Knackpunkt und die große Errungenschaft des Digitalen: Wir können Bezüge herstellen und sie visuell aufbereiten. Was für uns kleine Bildwissenschaftler*innen natürlich total schnafte ist, weil wir nicht erst visuelle Eindrücke in Text übersetzen müssen, sondern sie jetzt auch bildlich darstellen können. Das ist zwar immer noch eine Interpretation (hey, Wissenschaft!), aber sie kann jetzt im gleichen bzw. in einem ähnlichen Medium stattfinden wie das, in dem das Original vorhanden ist.

Über Denkmalpflege

„Je mehr die Aufgabe der Denkmalpflege im Konservieren gesehen wurde und nicht mehr im Restaurieren, und je mehr die Architekten sich der Moderne zuwendeten und dem Historismus abschworen, desto mehr wurden Selbstverständnis und Theorie der Denkmalpflege von den Kunsthistorikern bestimmt. Zwei Kunsthistoriker, Alois Riegl und Georg Dehio, waren es auch, die kurz nach der Jahrhundertwende [zum 20. Jahrhundert] versuchten, nicht nur die prinzipielle Notwendigkeit der Denkmalpflege neu zu begründen, sondern auch sach- und zeitgerechte Kriterien dafür zu finden, was eigentlich ein Denkmal ausmacht. Die alten Argumente reichten ja nicht aus, wenn es nicht mehr darum ging, eine alte Kirche fertig- oder eine Burg wieder aufzubauen, sondern darum, den unfertigen Zustand der Kirche zu konservieren und die Burg gerade als Ruine zu schützen und zu erhalten.

Die Kunstgeschichte, die der Denkmalpflege die neuen Paradigmen liefern sollte, kämpfte um 1900 selbst noch um Identität und Eigenständigkeit. Was konnte dabei eine bessere Waffe sein als das von der avancierten Kunst geteilte Postulat, das eigentliche Wesen von Kunst sei Form? Und was konnte die oft bezweifelte Wissenschaftlichkeit des neuen Faches besser untermauern als die These, Form entwickele sich nach einer nur ihr eigenen, immanenten Gesetzlichkeit, die im Prinzip genauso objektiv feststellbar sei wie die der Natur?

Einer der Protagonisten in diesem Kampf war Alois Riegl. Georg Dehio dagegen, aus damaliger Sicht der Konservativere, ging zu solchen Tendenzen auf Distanz: „Zur Zeit beschäftigt uns meistens die Erforschung der inneren Kunstgesetze und die aus ihnen hervorgehende Stilentwicklung. Diese Betrachtungsweise verleugnet nicht das geschichtliche Moment, das in dem Begriff der Entwicklung schon gegeben ist, aber sie beschränkt es. Ihr erscheint die Kunst als eine autonome Macht. Sie fragt wenig, zu wenig, nach den anderen geistigen Mächten, in deren Umgebung die Kunst ihr geschichtliches Leben führt und von denen sie mitbedingt wird, sie fragt noch weniger nach den materiellen Voraussetzungen. Sie gibt eine Geschichte des künstlerischen Denkens, nicht eine vollständige Darlegung des wirklichen Verlaufes in seinen verwickelten Kausalzusammenhängen.“

[Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze, München/Berlin 1914, S. 67. Der zitierte Aufsatz heißt Deutsche Kunstgeschichte und deutsche Geschichte, ist in der Historischen Zeitschrift 100 im Jahr 1908 erschienen, und wenn ihr auf die Digizeitschriften zugreifen könnt, steht er hier auf S. 473. Oder bei jstor.]

Riegls Aufsatz „Über den modernen Denkmalkultus“ [von 1903] ist zwar als Erläuterungs- und wohl auch Werbetext für ein neues Gesetz geschrieben, stellt den Leser aber bis heute vor beträchtliche Schwierigkeiten. Trotz scheinbar streng rationaler Begriffsbildung und Gedankenführung bleibt der Text auf weite Strecken hermetisch. Riegl geht von einer Reihe axiomatischer Prämissen aus, die keineswegs immer zureichend erklärt oder gar begründet werden. Die zur Abstraktion drängenden Kunsterfahrungen des Jugendstils spielen dabei ebenso eine Rolle wie die ästhetische Faszination durch eine deterministisch verstandene Naturwissenschaft. Früher, so Riegl, habe Denkmalpflege auf dem Kunst- und dem Erinnerungswert ihrer Objekte aufbauen können. Dieser Werte aber hätten sich überlebt. Ein neuer Wert müsse an ihre Stelle treten, der Alterswert. Wie der Erinnerungswert das 19., so werde er das 20. Jahrhundert beherrschen. Vor allem aber: der Denkmalwert eines Gebildes könne nicht aus seiner Bedeutung in der Vergangenheit bestimmt werden, sondern ausschließlich aus seiner Bedeutung für die Gegenwart. Riegl, und das ist sein fundamentaler Beitrag zur Theorie und Programmatik der Denkmalpflege, hat die Illusion zerstört, daß es so etwas wie objektive, ein für allemal gegebene Eigenschaften gäbe, die ein Gebilde zum Denkmal machten. Ob, inwiefern und wofür etwas Denkmal ist, das entscheidet sich – so Riegls grundlegende Erkenntnis – nicht bei seiner Entstehung, sondern in seiner Rezeption.“

Huse, Norbert (Hrsg.): Denkmalpflege: Deutsche Texte aus drei Jahrhunderten, München 2006 (3. Aufl.), S. 124–126.

Wem die englischsprachigen Biografien zu kompliziert sind, hier die Deutsche Biographie über Riegl und Dehio.

Literatur von Riegl und Dehio bei arthistoricum.net.

Geschichtshausarbeit „Heimat ist überall. Der Heimatbegriff in Weblogs und auf Instagram“

Das Semesterende nähert sich, die ersten Noten treffen ein. (YAY!)

Mein Kurs „Heimat“ in der modernen Welt war mein Vertiefungskurs in Neuer und Neuester Geschichte. Als kleines Nebenfach muss ich nur zwei der drei großen Epochen abdecken, was in meinem Fall heißt: Ich ignoriere die arme Antike und kümmere mich um Mittelalter und eben die neue Geschichte.

Im Heimatkurs haben wir uns mit den verschiedenen Bedeutungen, die dieses Wort haben kann, auseinandergesetzt. Zunächst lasen wir verschiedene Texte aus mehreren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, und einige Wochen später kamen dann unsere Referate dran. Dazu sollten wir uns zu Gruppen zusammentun und uns ein Thema ausdenken. Frau Gröner knurrte innerlich, denn Gruppenarbeit kann ich überhaupt nicht leiden. Ja, das ruiniert garantiert den ersten Eindruck in der Bewerbung, wenn man sich als teamunfähig outet, aber wenn ich irgendwas in meinen diversen Lebensjahrzehnten gelernt habe, dann: TEAM – Toll, Ein Anderer Macht’s. Ich sitze lieber alleine vor meinen Büchern; wenn’s eine gute Note wird, ist alles meins, und wenn’s eine schlechte wird, erst recht. Netterweise traf ich auf zwei Kommilitoninnen, die auch eher Einzelkämpferinnen sind, und so überlegten wir uns ein Oberthema, das wir getrennt voneinander bearbeiten konnten.

Dass wir uns ein Thema selbst überlegen sollten, kannte ich auch noch nicht: Normalerweise zücken die Dozierenden in der ersten Stunde eine schöne, saubere Liste mit schönen, sauberen Themen, um die wir uns dann kloppen. Hier war die Ansage: „Denken Sie sich was aus, Sie haben ja anhand der Texte der letzten Wochen einige Ansatzpunkte sammeln können.“ Und wo ich innerlich dachte, super, jetzt reden fünf Teams über Ostpreußen, durfte ich (natürlich) feststellen, dass dem nicht so war, der Dozent total recht hatte und ich, wie immer, keine Ahnung.

Die Gruppen beschäftigten sich zum Beispiel mit so unterschiedlichen Dingen wie dem Asylverfahren in der Bundesrepublik, der Geschichte des Staates Israel, dem Max-Frisch-Fragebogen zu Heimat, einem Eurodistrikt in der Nähe von Straßburg, dem ständig umherreisenden Fußballtorwart Lutz Pfannenstiel, und unsere Gruppe referierte über „Heimat in der medialen Vermittlung.“ Meine Mitstreiterinnen erzählten etwas über den deutschen Heimatfilm nach 1945 und brasilianische Volksmusik, und ich guckte mir an, wie oder ob Heimat im Internet stattfindet.

Die Arbeit dazu hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich hätte gerne doppelt so viel Platz gehabt. Die vielen Forschungspositionen zu diesem fies-schwammigen Begriff konnte ich gefühlt nur streifen bzw. in die Fußnoten packen, damit die Arbeit nicht noch länger wird. Auch zu Weblogs und Instagram hätte ich deutlich mehr schreiben können, von der Medienart an sich bis zu ihrer Nutzung und Rezeption. Die Belege zu Weblogs fand ich sehr putzig: Anstatt einfach in jede Fußnote zu schreiben „Ich bin Anke, ich blogge seit 2002, ask me anything“, musste ich gucken, wie andere diese Bewegung empfunden haben und sie zitieren. Über Instagram gibt es noch so gut wie keine wissenschaftliche Literatur; kein Wunder bei einer App, die es erst seit 2010 gibt, aber dass ich gerade mal zwei amerikanische Aufsätze von 2014 und 2015 fand, die ich nutzen konnte, erstaunte mich dann doch. Gerade in der Kunstgeschichte müssten wir uns doch um das Ding reißen: Die Filter als Kunstimitation, das Selfie als neue Porträtgattung und natürlich generell die Sujets, die abgebildet werden und sich von bisherigen Bildmotiven unterscheiden. Oder nicht? Ich persönlich würde gerne eine Linie von niederländischen Stillleben des Barock zu #Foodporn ziehen, aber ich habe leider keine Zeit. (Im Master dann.)

Lange Rede, kurze Arbeit: hier ist sie.

Die Gesamtnote des Kurses ist 1,2 – das setzt sich aus der Hausarbeit, der Klausur und dem Referat zusammen. Die Einzelnoten habe ich noch nicht, aber gefühlt war die Arbeit meine beste Leistung. Bis ich was vom Dozenten höre, kann ich also nur raten, ob es meine Lieblingsnote geworden ist.

Links vom 12. März 2015

Mucha, Münter, Makart

Ein Artikel in der NZZ weist auf eine Ausstellung in Pilsen hin, die noch bis Anfang April läuft und Bilder aus der ertragreichen Zeit der Münchner Schule zeigt:

„In dieser Zeit entwickelte sich München zu einer der führenden Kunstmetropolen der Welt. Aus allen Herren Ländern strebten junge Künstler in die Stadt, um hier an der berühmten Kunstakademie zu studieren. Die Anziehungskraft Münchens als Kunststadt wuchs aber auch aus dem Rang, den in Bayern – dank dem kunstfördernden Königshaus der Wittelsbacher – die Kunst als ein Bestandteil der politischen Repräsentation des Landes einnahm. Entsprechend hoch war der gesellschaftliche Status der Künstler, die von ihrer Arbeit hier gut leben konnten. Stadtpaläste wie das Lenbachhaus legen bis heute Zeugnis davon ab. Kunst zu kaufen, gehörte in den wohlhabenden Kreisen Münchens zum guten Ton.

Zur Atmosphäre und Dynamik der Stadt mit ihren privaten Malerschulen, Galerien, Kunstvereinen und Jahresausstellungen im Glaspalast trugen nicht unwesentlich die Künstlerkolonien bei, die ausländische Studenten aus Polen, Ungarn, Russland und anderen Ländern gründeten. Eine der wichtigsten und stärksten dieser Kommunitäten bildeten die Künstler aus Böhmen.“

(via @cogries)

Monet und die Geburt des Impressionismus

Das Frankfurter Städelmuseum hat ein (selbst so bezeichnetes) Digitorial zur Monet-Ausstellung gestaltet, die gestern eröffnet wurde. Es gefällt mir sehr gut, weil es unaufdringlich bewegte Designelemente einbindet, ohne wild rumzuflackern. Man bekommt schnell einen Überblick über die Themen, wird aber nicht von Informationen erschlagen, denn die verbergen sich hinter den klickbaren Plus-Zeichen. Rechts bleibt stets eine Menüleiste sichtbar, aber so klein, dass sie nicht stört. Audiofiles plärren nicht ungefragt los. sondern signalisieren dir kurz, hey, ich bin hier, klick mich an oder lass es.

Die Themenüberschriften und Bilder geben einen sehr guten Eindruck von der Ausstellung und was einen erwartet. Von mir aus hätten die Plus-Texte ruhig noch länger sein dürfen, aber das ist natürlich nur mein persönlicher Geschmack, der sich so langsam neben dem Studium her verändert hat. Mir reichen die kleinen Einblicke nicht mehr, ich will jetzt die acht Katalogseiten zu einem Thema haben.

Beim Impressionismus werde ich inzwischen immer etwas wehmütig, denn wir waren mit einem Seminar mal in der Neuen Pinakothek, wo ja bekanntlich diese Zeit hängt, und als wir so vor den van Goghs über unsere Faszination für Kunst sinnierten, stellten wir fest, dass wir fast alle irgendwann die Monet’schen Seerosen als Postkarte über dem Schulschreibtisch hängen hatten. Für fast alle von uns Studentinnen war der Impressionismus der erste Kontakt zur Kunst bzw. die Stilrichtung, die in uns den Wunsch geweckt hat, sich länger mit dieser Spielart von künstlerischer Auseinandersetzung (im Gegensatz zu z. B. Theater oder Schriftstellerei) zu befassen. Wir gestanden uns aber auch, dass wir inzwischen alle den Impressionismus hinter uns gelassen und uns längst anderen Richtungen zugewandt haben.

Gedichtzeilen

Ich stolperte gestern bei zwei Gelegenheiten über Gedichtzeilen. In What’s Wrong With Public Intellectuals? schreibt Mark Greif über die Partisan Review und nutzt dabei den Satz „Fools rush in where angels fear to tread“. „Fools rush in“ kannte ich, zum einen natürlich von Elvis, zum anderen als Matthew-Perry-Fan von diesem wirklich schlimmen Film, aber wie der Satz weitergeht oder wo er herkommt, wusste ich nicht. Jetzt weiß ich’s.

Bei „Angels“ musste ich natürlich an mein liebstes Shakespeare-Zitat denken: „Hell is empty and all the devils are here“, das aus dem ersten Akt von The Tempest stammt.

Und dann spülte mir noch Whiskey River ein Gedicht in die Twitter-Timeline, das ich noch nicht kannte und von dessen Autor ich auch noch nie gehört hatte, das ich jetzt aber dringend lesen möchte. Der Satz, der jetzt gerade zu mir und meinen Leben passt und gleichzeitig weh tut und hoffen lässt, lautet:

„A wall has started to fall in you, it will take years to land.“