Links vom 5. April 2015

Viel Weiß, viel Vase, viel Bett

Die von mir sehr geschätzte @anika_meier (unter anderem deshalb und deshalb) hat im Monopol-Magazin über Instagram geschrieben:

„Stilprägend sind zum einen technische und formale Gegebenheiten, die große Schärfentiefe, die Größe des Bildschirms, auf dem die Fotos angesehen werden, und das quadratische Bildformat. Fast alles spielt sich in der Fläche ab, alles wird nah herangeholt, die Ausschnitte werden eng gewählt und die Motive werden frontal, am besten gleich aus der Zentralperspektive fotografiert. Die Komposition erstarrt, das Bild wird statisch. Zum anderen ist das Vorbild das vierteljährlich erscheinende amerikanische Lifestyle-Magazin „Kinfolk“ für den modernen Hipster mit wenig Text und vielen Bildern, das in den letzten Jahren zur Bibel des guten Geschmacks mutierte und eine eigene Ästhetik prägte. Wer wissen möchte, wie man ein Ei richtig kocht, wird hier fündig. Und wer sehen möchte, wie man seinen Besitzstand am besten kuratiert und sein Leben ästhetisiert, lernt hier seine Lektion.“

Meier verweist in ihrerm Artikel auf einen Text von Wolfgang Ullrich, der 2013 in der NZZ erschienen ist und die Instagram-Ästhetik anders interpretiert – weit weniger statisch und inszeniert, sondern unscharf, verwackelt, für den Moment und nicht für die Ewigkeit:

„Heute hingegen besteht das Neue darin, dass man schnell entstandene Bilder auch schnell reproduzieren und an jeden Ort der Welt schicken kann. „Live“ ist kein Privileg des Fernsehens mehr, vielmehr verfügt fast jeder Amateur inzwischen über die Möglichkeiten maximaler Bildmobilität. Damit aber verändert sich der Charakter vieler Bilder ein weiteres Mal. Statt auf Komposition oder Originalität zu achten, geht es darum, das Live-Ereignis oder einen besonderen Moment einzufangen und ein Flair von Spontaneität, Ausgelassenheit, Sensation rüberzubringen. Für den, der eine Foto geschickt bekommt, ist wichtiger und emotionaler als das, was er sieht, die Tatsache, ohne relevante Zeitverzögerung mitzubekommen, was anderswo gerade geschieht. Und es geht darum, wer einen daran teilhaben lässt. Nicht das Bild an sich hat Bedeutung, sondern es zählt, wann, wo und wie es gesehen werden kann. In einem klassischen Sinn gut gemacht brauchen die Bilder also nicht zu sein; sie leben vor allem von ihrer Aktualität.

Manche Flüchtigkeit – ein verrutschter Bildausschnitt, eine Unschärfe, grelles Gegenlicht – wird dann sogar vom Manko zum Wert, dokumentiert sich darin doch die Eile, mit der ein Bild gemacht wurde, um andere möglichst schnell in ein Ereignis mit einzubeziehen.“

Die Texte scheinen sich zu widersprechen, aber: Meier verweist auch auf Roland Barthes, dessen Essay Die helle Kammer ein Stardardwerk zur Fotografie ist. Ich zitierte ihn mal in diesem Blog:

„Eine Photographie ist immer die Verlängerung dieser Geste; sie sagt: das da, genau das, dieses eine ist’s! und sonst nichts; sie kann nicht in den philosophischen Diskurs überführt werden, sie ist über und über mit der Kontingenz beladen, deren transparante und leichte Hülle sie ist. Zeige deine Photographien einem anderen; er wird sogleich die seinen hervorholen und sagen: „Sieh, hier, das ist mein Bruder; das da, das bin ich als Kind“ und so weiter; die PHOTOGRAPHIE ist immer nur ein Wechselgesang von Rufen wie „Seht mal! Schau! Hier ist’s!“; sie deutet mit dem Finger auf ein bestimmtes Gegenüber und ist an diese reine Hinweis-Sprache gebunden. Daher kann man zwar sehr wohl von einer Photographie sprechen, doch, wie mir scheint, mitnichten von der PHOTOGRAPHIE.“

Der meiner Meinung nach bemerkenswerteste Satz des Textes (weil so schön zitierfähig) stammt von Olly Lang, der sagte, dass Fotografie immer mehr zur Performance Art werde. Das mag auf die Ecken von Instagram zutreffen, in denen sich Meier und Lang bewegen – meine Timeline ist hingegen wild gemischt, da ist zwischen der natürlich vorhandenen „My life on Instagram“-Idylle auch Platz für die dokumentarisch und feministisch geprägte #609060-Bewegung, die ein ganz anderes Ziel hat als etwas darzustellen – nämlich genau das Gegenteil, und ner Menge Essen, das auch nicht immer aussieht wie #kinfolkmylife.

Ich glaube, das macht den Reiz dieses Mediums aus, genau wie es den Reiz jedes Mediums ausmacht: die Mischung, die persönlich kuratiert werden kann. Ich stelle mir meinen Twitterstream und meine Facebook-Timeline zusammen, genau wie ich früher ausgewählt ferngesehen habe und nicht beliebig jedes Buch im Regal hatte, sondern nur die, die mir zusagen. Die Vielfalt eines jeden Mediums ist ihm immanent, genau wie gewisse Regeln, die es in der Anfangszeit formten, aber sofort durchbrochen, erweitert, vernachlässigt wurden. Sonst hätten wir bis heute nur die Bibel als gedrucktes Werk, nur wissenschaftliche Auseinandersetzungen als Zeitschrift und nur Nachrichten im Fernsehen.

Kunst für alle?

Nochmal Monopol-Magazin: Markus Neuschäfer schreibt über das leidige Thema Urheberrecht.

„Wie der Urheberrechtsspezialist Till Kreutzer von der Infoplattform iRights feststellt, behindert die aktuelle Rechtslage ebenso den freien Zugang wie auch die kreative Entfaltung. Die in der Ausstellung vertretenen Künstler dagegen kopieren völlig hemmunglos. In zahlreichen Grafiken werden bekannte Werke der Kunstgeschichte und geschützte Marken verwendet, gerne auch Schattenrisse der Disney-Maus mit Erektion oder abgetrenntem Arm. In seinem Plakat „Die vier apokalyptischen Reiter“ ergänzt Klaus Staeck das gleichnamige Werk Albrecht Dürers um die Namen von bekannten Internetkonzernen.

Auch wenn es sich bei der Grafik selbst um einen Remix handelt, gilt für das neu entstandene Werk das Staeck-Copyright: Eine kritische Rekontextualisierung wie in der surrealistischen Montage „La femme cachée“ wäre ohne explizite Genehmigung ebensowenig möglich wie eine Abbildung in der Wikipedia. Eine Auseinandersetzung mit der Ausstellung in Form von Appropriation Art, Twitter-Posts oder Blogartikeln setzt umständliche Genehmigungen, hohe Gebühren und bürokratische Leidensfähigkeit voraus. Falls die Urheber zu spät antworten oder der Kontext nicht genehm erscheint, muss der demokratisch-kreative Besucher mit einer Abmahnung rechnen, sofern er nicht ganz auf den Beitrag verzichtet.“

Neuschäfer spricht unter anderem meine Lieblinge vom Rijksmuseum und ihr Rijksstudio an, wo ein Museum mal eben die Kontrolle über große Teile ihrer Sammlung aus der Hand gibt und User*innen einfach machen lässt:

„Wie man moderne Kunstvermittlung innovativ und gelassen gestaltet, demonstriert das Amsterdamer Rijksmuseum. In dem Online-Portal Rijksstudio kann man 190.000 Bilder in höchster Qualität herunterladen. Da die meisten Urheber bereits seit mehr als 70 Jahren verstorben sind, stehen die Inhalte in der public domain. Diese Großzügigkeit ist keine Ausnahme, neben anderen Institutionen bietet auch das EU-Projekt Europeana sämtliche Inhalte mit einer CC0-Lizenz an. Die Datamanagerin des Rijksmuseums Lizzy Jongma zeigt sich vollkommen unbesorgt vor dem digitalen Kontrollverlust: „We are so happy with whatever people do with our collection!“ Auch Direktor Taco Dibbits freut sich noch im Falle von bedruckten Kleidern, Sitzsäcken und Toilettenpapier herzlich über die hohe Reproduktionsqualität der Werke und die wachsende Bekanntheit des Hauses. Der kunsthistorischen Bewertung von Vermeer hat dies bislang nicht geschadet.“

Digitale Sammlung des Staedel

So ganz „einfach mal machen“ kann man bei der neuen digitalen Sammlung des Frankfurter Staedelmuseums nicht, weil man einige Vorgaben hat, aber anhand derer kann man sich sehr entspannt durch Teile der Sammlung hangeln: assoziativ, spielerisch und informativ. Okay, da hätte von mir aus noch deutlich mehr kommen können, und ich lese lieber als dass ich zuhöre, weswegen ich auch keine Audioguides mehr ertrage, aber für den ersten Aufschlag finde ich das alles schon sehr schön, innovativ, benutzer*innenfreundlich und vor allem spannend.

„Der Historiker von morgen wird Programmierer sein oder es wird ihn nicht mehr geben“

Das Blog digitale : Geschichte „begleitet die Veranstaltungen im Sommersemester 2015 der Gastprofessur von Mareike König für Digital Humanities am Institut für Geschichte der Universität Wien.“ König twittert übrigens auch, und sie ist eine von den Twitter*innen, von denen ich so ziemlich jeden Link anklicke. Mein Lieblingssatz im Artikel, der gnadenlos in der BA-Arbeit zitiert werden wird, in der ich eine Datenbank konzipieren werde (Hervorhebung von mir):

„Durch den Computer konnte nach Eingabe der Daten nicht nur eine einzige Kurve erstellt werden, wie man sie auch von Hand hätte errechnen können (wenn auch mit einiger Mühe). Sondern es war möglich, in kurzer Zeit die Daten in verschiedenen Graphiken auszugeben und miteinander in Bezug zu setzen.“

Das ist für mich der Knackpunkt und die große Errungenschaft des Digitalen: Wir können Bezüge herstellen und sie visuell aufbereiten. Was für uns kleine Bildwissenschaftler*innen natürlich total schnafte ist, weil wir nicht erst visuelle Eindrücke in Text übersetzen müssen, sondern sie jetzt auch bildlich darstellen können. Das ist zwar immer noch eine Interpretation (hey, Wissenschaft!), aber sie kann jetzt im gleichen bzw. in einem ähnlichen Medium stattfinden wie das, in dem das Original vorhanden ist.

Geschichtshausarbeit „Heimat ist überall. Der Heimatbegriff in Weblogs und auf Instagram“

Das Semesterende nähert sich, die ersten Noten treffen ein. (YAY!)

Mein Kurs „Heimat“ in der modernen Welt war mein Vertiefungskurs in Neuer und Neuester Geschichte. Als kleines Nebenfach muss ich nur zwei der drei großen Epochen abdecken, was in meinem Fall heißt: Ich ignoriere die arme Antike und kümmere mich um Mittelalter und eben die neue Geschichte.

Im Heimatkurs haben wir uns mit den verschiedenen Bedeutungen, die dieses Wort haben kann, auseinandergesetzt. Zunächst lasen wir verschiedene Texte aus mehreren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, und einige Wochen später kamen dann unsere Referate dran. Dazu sollten wir uns zu Gruppen zusammentun und uns ein Thema ausdenken. Frau Gröner knurrte innerlich, denn Gruppenarbeit kann ich überhaupt nicht leiden. Ja, das ruiniert garantiert den ersten Eindruck in der Bewerbung, wenn man sich als teamunfähig outet, aber wenn ich irgendwas in meinen diversen Lebensjahrzehnten gelernt habe, dann: TEAM – Toll, Ein Anderer Macht’s. Ich sitze lieber alleine vor meinen Büchern; wenn’s eine gute Note wird, ist alles meins, und wenn’s eine schlechte wird, erst recht. Netterweise traf ich auf zwei Kommilitoninnen, die auch eher Einzelkämpferinnen sind, und so überlegten wir uns ein Oberthema, das wir getrennt voneinander bearbeiten konnten.

Dass wir uns ein Thema selbst überlegen sollten, kannte ich auch noch nicht: Normalerweise zücken die Dozierenden in der ersten Stunde eine schöne, saubere Liste mit schönen, sauberen Themen, um die wir uns dann kloppen. Hier war die Ansage: „Denken Sie sich was aus, Sie haben ja anhand der Texte der letzten Wochen einige Ansatzpunkte sammeln können.“ Und wo ich innerlich dachte, super, jetzt reden fünf Teams über Ostpreußen, durfte ich (natürlich) feststellen, dass dem nicht so war, der Dozent total recht hatte und ich, wie immer, keine Ahnung.

Die Gruppen beschäftigten sich zum Beispiel mit so unterschiedlichen Dingen wie dem Asylverfahren in der Bundesrepublik, der Geschichte des Staates Israel, dem Max-Frisch-Fragebogen zu Heimat, einem Eurodistrikt in der Nähe von Straßburg, dem ständig umherreisenden Fußballtorwart Lutz Pfannenstiel, und unsere Gruppe referierte über „Heimat in der medialen Vermittlung.“ Meine Mitstreiterinnen erzählten etwas über den deutschen Heimatfilm nach 1945 und brasilianische Volksmusik, und ich guckte mir an, wie oder ob Heimat im Internet stattfindet.

Die Arbeit dazu hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich hätte gerne doppelt so viel Platz gehabt. Die vielen Forschungspositionen zu diesem fies-schwammigen Begriff konnte ich gefühlt nur streifen bzw. in die Fußnoten packen, damit die Arbeit nicht noch länger wird. Auch zu Weblogs und Instagram hätte ich deutlich mehr schreiben können, von der Medienart an sich bis zu ihrer Nutzung und Rezeption. Die Belege zu Weblogs fand ich sehr putzig: Anstatt einfach in jede Fußnote zu schreiben „Ich bin Anke, ich blogge seit 2002, ask me anything“, musste ich gucken, wie andere diese Bewegung empfunden haben und sie zitieren. Über Instagram gibt es noch so gut wie keine wissenschaftliche Literatur; kein Wunder bei einer App, die es erst seit 2010 gibt, aber dass ich gerade mal zwei amerikanische Aufsätze von 2014 und 2015 fand, die ich nutzen konnte, erstaunte mich dann doch. Gerade in der Kunstgeschichte müssten wir uns doch um das Ding reißen: Die Filter als Kunstimitation, das Selfie als neue Porträtgattung und natürlich generell die Sujets, die abgebildet werden und sich von bisherigen Bildmotiven unterscheiden. Oder nicht? Ich persönlich würde gerne eine Linie von niederländischen Stillleben des Barock zu #Foodporn ziehen, aber ich habe leider keine Zeit. (Im Master dann.)

Lange Rede, kurze Arbeit: hier ist sie.

Die Gesamtnote des Kurses ist 1,2 – das setzt sich aus der Hausarbeit, der Klausur und dem Referat zusammen. Die Einzelnoten habe ich noch nicht, aber gefühlt war die Arbeit meine beste Leistung. Bis ich was vom Dozenten höre, kann ich also nur raten, ob es meine Lieblingsnote geworden ist.