Tagebuch Freitag, 18. Dezember 2015 – Abu Dhabi/München

Morgen im Iconic-Architecture-Seminar über den Saadiyat Cultural District in Abu Dhabi gesprochen und uns die Gebäude einzeln näher betrachtet. Das Referat dauert fast eine Stunde, was bei fünf Gebäuden auch völlig in Ordnung war. Wir besahen uns die Entwürfe für das Guggenheim Abu Dhabi von Frank Gehry, das Performing Arts Centre von Zaha Hadid, Norman Fosters Zayed National Museum, das Maritime Museum von Tadao Ando sowie das einzige Gebäude, das so gut wie fertig ist: den Louvre Abu Dhabi von Jean Nouvel. Danach waren wir erstmal platt und sprachen von Overkill und wer braucht das und wer soll da hinfliegen und was ist das für ein irrwitziger Plan dieses einen Herrschers, aber der Dozent gab einen, O-Ton, ketzerischen Punkt in die Diskussion: Wir sollten mal an eine bayerische Provinzstadt Anfang des 19. Jahrhunderts denken, wo ein Monarch eine Prachtstraße bauen ließ, die länger war als das komplette mittelalterliche Stadtgebiet, an der Gebäude standen, für die es noch keinen Zweck gab, ein Museum auf der grünen Wiese, dessen Inhalte noch zusammengekauft wurden, einen Stadtteil für Menschen, die noch gar nicht in der Stadt waren, und ein architektonisches Gebilde, das in der Achse zu zwei Schlössern stand und von zwei weiteren Museen begleitet wurde, die größtenteils mit seinen eigenen Artefakten bestückt wurden.

Well played, Dozent, well played. Wir warten also brav auf die weitere Entwicklung und sind nicht mehr so vorschnell mit unseren Urteilen.

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Danach fuhren wir zur BMW-Welt und beschauten uns die wenige Iconic Architecture vor unserer Haustür. Bereits im Wettbewerb wurden die Architekt*innen aufgefordert, das Gebäude so zu gestalten, dass es zum Olympiastadion passt, das in unmittelbarer Nähe steht. Das war mir noch nie aufgefallen, wie gut die beiden Gebäude harmonieren – vermutlich genau deshalb.

Ich mag an der BMW-Welt den in sich verdrehten Kegel sehr gerne und lernte, dass jedes der Dreiecke einzeln angefertigt wurde und sich angeblich keine zwei gleichen an der Fassade befinden. Da wäre ich mir spontan jetzt nicht so sicher, und auch die Referentin wagte einen kleinen Widerspruch zur der von ihr gelesenen Literatur.

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Mich faszinierte der Knick, den die Glasfassade an ihrer Längsseite macht, denn er erinnerte mich sofort an den Hofmeister-Knick, der so ziemlich alle BMW-Modelle ziert. Den hatte die Referentin aber nirgends gefunden, vielleicht ist er nur Zufall. (Ein für mich zu großer Zufall.)

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Im Inneren besahen wir uns die vielen Menschen, die ihren Neuwagen abholten. Das kannte ich natürlich von Audi, für deren Kataloge ich diesen Text gefühlt ein dutzend Mal überarbeitet habe („ein einmaliges Erlebnis yadayadayada“). Deswegen fand ich es sehr spannend, mal die Außensicht zu haben. Der Dozent sprach von einem „Initiationsritus“: „Sie kommen als normaler Mensch und gehen als Teil einer Gemeinschaft.“ Was uns erst auffiel, als die Referentin darüber sprach: die Abgasentfernung. Die BMW-Welt ist eine einzige riesige Halle, die netterweise nicht so wirkt, weil sie von diversen Blöcken und Brücken durchbrochen wird, aber im Prinzip müsste es überall nach Autoabgasen riechen, weil bis zu 250 Autos am Tag in diese und aus dieser Halle fahren. Das tut es aber durch ein ziemlich ausgeklügeltes Luftleitsystem nicht.

Ich stellt überrascht und innerlich ein bisschen verwirrt fest, dass mich Autos immer noch faszinieren können. Ich dachte, diesen Lebensabschnitt hätte ich hinter mir gelassen, und so überlegte ich seit dem gestrigen Besuch, ob ich vielleicht doch mal wieder in einem Urlaubssemester ein bisschen Geld in der Werbung machen sollte. Aber dann las ich eben den verlinkten Text zur Fahrzeugabholung und dachte, och nee, lass mal. Ich bilde mir jetzt ein, dass ich die Autos gestern als Skulpturen wahrgenommen habe und nicht mehr als überteuerten, überholten Quatsch, den wir dringend mal neu definieren sollten, bevor das Öl alle ist. Da wäre dann der Brückenschlag zu Abu Dhabi, was noch schnell alles an Geld verbaut, bevor es mit der Herrlichkeit vorbei ist.

Fehlfarben 9: Künstler, Kinder, Pinguine

Heute im Programm: gleich drei Ausstellungen! Sagt nicht, wir würden nichts für euch tun. Dazu gab’s drei ausgezeichnete Spätburgunder aus Deutschland.

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00.00:00. Begrüßung und Vorstellung.

00.01:30. Erster Wein und erste Ausstellung: Klee & Kandinsky im Lenbachhaus. Der Untertitel der Ausstellung lautet „Nachbarn, Freunde, Konkurrenten“; eventuell ahnt ihr jetzt, woher unsere heutige Überschrift kommt. Von uns gab’s drei dicke Daumen nach oben, und ihr habt noch bis zum 24. Januar 2016 Zeit, in den Kunstbau zu gehen.

00.27:00. Blindverkostung Wein 2 und noch mehr Klee & Kandinsky. Fazit ab ca. 00.42:00. Das Ergebnis der Twitter-Umfrage von 00.39:00 ist übrigens hier. (Team Klee!)

00.48:00. Blindverkostung Wein 3.

00.50:30. Die zweite Ausstellung: Geh und spiel mit dem Riesen in der Villa Stuck. Auch hier gibt’s einen Untertitel, aber der war nicht so cool wie bei den beiden Ks: Kindheit, Emanzipation und Kritik. Hier gab’s nur zwei Daumen nach oben, weil ich Pappnase mich bei den Öffnungszeiten vertan hatte und deswegen die Ausstellung nicht gesehen habe. Bis zum 10. Januar 2016 kann ich das aber nachholen.

01.10:00. Die letzte Ausstellung: Genesis von Sebastião Salgado im Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung. Auch hier, total langweilig, wissen wir, wir arbeiten an mehr Konflikt: drei Daumen nach oben. Die Ausstellung läuft noch bis zum 24. Januar 2016.

01.32:00. Alkoholauflösung und Verabschiedung.

Immerhin bei den Weinen waren wir uns uneinig: Felix und ich mochten Wein 3 am liebsten und Wein 2 am wenigstens, Florian mochte Wein 2 am liebsten und Wein 1 am wenigsten, wobei das dieses Mal alles sehr eng beeinander lag. Wir hatten drei richtig spannende Weine am Tisch, die wir alle noch mal trinken wollen würden.

Wein 1: Weingut Nicklis, Pfalz, Spätburgunder Frankweiler Kalkgrube, 2012, 13%, beim Winzer für 5,10 Euro. (Von diesem Weingut kann ich den Gelben Muskateller auch wärmstens empfehlen.)

Wein 2: Weingut Dautel, Württemberg, Spätburgunder Schilfsandstein, 2013, 13%, beim Winzer für 12,90.

Wein 3: Weingut Fritz Waßmer, Baden, Spätburgunder Barrique, 2008, 13,5%, bei Karstadt Perfetto für 12,70 Euro. Den 2009er gibt’s beim Winzer schon für 8,90.

Bitterfelder Weg

Vormittags hatte ich wieder mein geliebtes Ost-West-Dialoge-Seminar. Das erste Referat handelte vom Bitterfelder Weg, von dem ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Die Referentin zeigte sehr spannende Bilder, und ich muss zugeben, dass mir die Ästhetik der Kunst der 1950er Jahre der DDR durchaus zusagt. Weder Google noch Prometheus zeigen mir aber die Bilder, die ich so schön oder interessant fand; ich ahne jetzt, warum die Dame gestern so viele Schwarzweißbilder in ihrer Präsentation hatte – das waren wahrscheinlich Buchscans. Zwei Gemälde habe ich allerdings gefunden:

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Walter Womacka: Rast bei der Ernte (1958), 165 x 180 cm, Öl auf Leinwand, Neue Nationalgalerie Berlin.

Die Kunstpolitik der DDR änderte sich seit der Staatsgründung mehrfach. Das Problem war meist, dass die Verantwortlichen zwar sagen konnten, was sie nicht wollten (westlich-dekadente Kunst, was unter anderem die Abstraktion bedeutete), allerdings weniger, was sie stattdessen wollten. Es gab kein offzielles künstlerisches Konzept, nur Anweisungen, den Arbeiter- und Bauernstaat würdig zu repräsentieren, was den Künstler*innen bei der Umsetzung erstmal freie Hand ließ, dem Staat aber trotzdem die Möglichkeit gab, Bilder abzulehnen bzw. nicht auszustellen, weil sie den vagen Anweisungen eben doch nicht entsprachen.

Uns erinnerte Womackas Bild an die französischen Impressionisten, vor allem Manets Frühstück im Grünen. Es zeigt allerdings keine Bürger*innen, sondern entspannte Menschen, denen die neue Qualität ihrer Arbeit bekannt ist. Durch die (angeblich) gesellschaftliche Teilhabe an allem arbeitete man für sich selbst und daher selbstbewusster und anerkannter als früher. Was bei der Darstellung von Werktätigen nicht gewünscht war: verzerrte Körper und Gesichter, denen man die Anstrengung der Arbeit ansieht. Es sollte eher die Zufriedenheit und der Stolz auf die eigene Leistung gezeigt werden, was viele der Bilder, die wir gestern sahen, auch taten und mir unerwarteterweise wirklich gut gefielen. Umso mehr ärgert es mich, dass ich sie nicht finde. Ein Beispiel war Otto Schutzmeisters Brigade des Baggers 431 im VEB Braunkohlewerk Nachterstedt von 1958.

Über das letzte Bild, was schon dem Bitterfelder Weg enstprach, war ich sehr erstaunt:

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Heinrich Witz: Der neue Anfang (1959), 129,2 x 98,8 cm, Öl auf Karton, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn.

Ich hätte jetzt keine Champagnerflaschen im Sozialistischen Realismus erwartet, aber wie F. gestern abend launig meinte: „Das ist bestimmt Rotkäppchen-Sekt“. Auch hier fühlten wir uns im Kurs an Manet erinnert, dieses Mal an die Bar in den Folies-Bergère. (Nebenbei: An dem Bild haben wir im Lektürekurs den male gaze durchgesprochen. Noch nebenbeier: Alle Texte aus unserem Lektürekurs gibt’s als Buch.)

Das Bild zeigt, wenn ich mich richtig erinnere, die Begegnung zwischen einem Intellektuellen (rechts) und einem Arbeiter (dementsprechend links), die sich, ganz wie Künstler und Arbeiter im Betrieb, einander annähern und voneinander profitieren. Ich sehe keine wirklichen Unterschiede zwischen den beiden Herren, außer dass der rechte sich vielleicht etwas wohler in seinem Anzug fühlt, aber so ganz konnte ich die Bildbesprechung nicht nachvollziehen. Außerdem war ich natürlich wieder quengelig über die Deko-Dame im Vordergrund, fand aber das gemalte SED-Logo in der Bildmitte sehr amüsant. Ich mag die Farbigkeit gerne sowie die von der Partei gewünschte Typisierung: Die Gesichter haben kaum individuelle Züge, es soll eher das Wir als das Ich gezeigt werden.

Generell finde ich es sehr spannend, mich mit DDR-Kunst auseinanderzusetzen, von der ich zugegebenermaßen wirklich überhaupt keine Ahnung habe.

Die Asamkirche in München

Nach einem Termin bei meiner Ärztin schlenderte ich die wenigen Meter zur Asamkirche, die eigentlich St. Johann Nepomuk heißt, aber außer vielleicht von Kunsthistoriker_innen (hust) nicht so genannt wird. Barocker wird’s in München nicht mehr, wie man an den Bildern erahnen kann. Ich glaube, jede/r Münchner_in schleppt Besuch von auswärts in diese Kirche, weil sie so einzigartig ist. Sie ist ziemlich klein für das, was alles an Deko in ihr drin ist, und überwältigt beim ersten Ansehen völlig.

Mich überwältigt sie immer noch, und ich habe auch immer noch nicht alle Details gesehen, weil mein Kopf irgendwann nach der klaren Romanik wimmert und nach Hause möchte.

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Wenn man die Sendlinger Straße entlanggeht, fällt die Kirche kaum auf. Sie ist ziemlich schmal, und auch wenn die Fassade hier ordentlich vor sich hinbarockt (ein Schwung hier, einer da, ach komm, ich lass die Mauer noch mal vor- und zurückspringen, hier noch einen Pilaster, dort noch ne Säule, oh hey, ich hab noch Platz für ein Motivfeld, wo-hoo, und JETZT dengele ich noch Ornamente dran), sieht sie im Straßenbild längst nicht so bombastisch aus wie das Foto vermuten lässt. Vielleicht auch, weil sie nicht frei steht, sondern direkt von Gebäuden umschlossen ist.

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Nach einem kleinen Vorraum, der durch ein Gitter vom Hauptraum abgetrennt ist, steht man dann drin. Und so sieht’s in Richtung Altar aus. Vielleicht mal hinsetzen und gucken? Zum Beispiel, wo eigentlich das Licht herkommt. Einmal durch das große Fenster über dem Altarraum. Aber dann scheint es auch hinter dem oberen Sims hervor, ohne dass wir sehen können, wo genau es herkommt. Das ist mein Lieblingserstaunen in barocken Kirchen – die Lichtführung.

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Noch toller ist es, wenn wir uns wieder in Richtung Ausgang drehen und nach oben schauen. Über dem Gitter, das ich eben erwähnte und das natürlich auch ein winziges bisschen verziert ist, beginnt das Emporengeschoss. Gegenüber vom Altar ist ein zweites Fenster, und das Licht, was hier hereinscheint, finde ich sogar noch effektvoller. Das pastellige Deckengemälde sieht noch weicher aus, die goldenen Ornamente scheinen zu leuchten. Und gestern war nur ein diesiger, grauer Tag. Stellt euch das mal bei richtigem Sonnenschein vor.

Die Wand im Emporengeschoss ist natürlich nicht plan – wir sind schließlich im Barock –, sondern durch unter anderem Halbsäulen und Motivfelder unterteilt. Das heißt, das Licht scheint nicht einfach so banal auf eine Wand, sondern wird durch die Wandgestaltung modelliert. Es entstehen Schattenkanten, die die Wand effektvoll aufteilen.

Hier sieht man auch die Balustrade ganz hübsch. Die ist nicht gerade, sondern geschwungen und springt dazu auch noch manchmal nach vorne, wie hier mit dem kleinen Motivfeld unter der Säule im Emporengeschoss. Dieses Vor- und Zurückspringen ist das simpelste Unterscheidungsmerkmal zur Renaissance. Jene Fassaden haben zwar auch schon Säulen und Pilaster und Zeug, sind aber relativ aufgeräumt. Der Barock, die ADHS-Epoche der Kunstgeschichte, kann nie seine Einzelteile stillhalten und hüpft dauernd hin und her.

Mir ist nach den Dutzenden von Kirchen, die ich mir in den letzten Jahren angeguckt habe, aufgefallen: Ich schaue gerne nach hinten zum Ausgang. Dass der Altar vorne was von mir will, ist ja klar. Aber ich finde es viel spannender zu sehen, was im hinteren Teil der Kirche passiert, dort, wo die Raummodellierung beginnt, die ich vorne sehe und spüre.

Aber ich gucke auch bei Autos lieber die Heckpartie an. Front kann ja jeder.

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So geht das Emporengeschoss weiter. Die Vorhänge, die unter dem runden Fenster und auf der Balustrade hängen, sind nicht aus Stoff, sondern aus bemaltem Holz. Mein Lieblingsdetail hier sind die goldenen Girlanden, die farbig in den Marmorpilastern wieder aufgegriffen werden, fast wie ein heller Schatten.

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Der Nachteil an Barockkirchen: Man kriegt nie alles aufs Bild, was man haben möchte. Hier musste ich mich zwischen den Engelsflügeln entscheiden und dem Jesus, der ganz oben unter der Kirchendecke hängt. Ich habe den Heiland ganz gelassen und die Flügel etwas beschnitten.

Fehlfarben 8: Zahlen und Malen

Wir schauten uns zwei Ausstellungen im Haus der Kunst an und begossen das ganze mit Crémant.

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00.00:00. Begrüßung, Vorstellung und Blindverkostung Crémant 1.

00.02:00 Unsere erste Ausstellung: Hanne Darbovens „Aufklärung“ im Haus der Kunst. Die Schau hat uns allen sehr gut gefallen, aber ob wir sie jedem und jeder weiterempfehlen würden, bleibt offen. „Aufklärung“ ist noch bis zum 14. Februar 2016 zu sehen. Und wer Zeit hat, nach Bonn zu fahren – dort läuft in der Bundeskunsthalle bis zum 17. Januar die zweite Hälfte der Darboven-Retrospektive. Sie trägt den Titel „Zeitgeschichten“.

00.33:20. Blindverkostung Crémant 2 und noch mehr Darboven, Fazit ab 00.40:45.

00.47:30. Blindverkostung Crémant 3 und großes Rätseln, ob in Flasche 1 und 3 eventuell der gleiche Stoff ist.

00.51:20. Die zweite Ausstellung, ebenfalls im Haus der Kunst: „Zufallsmuster“. Auch hier drei Daumen nach oben, wenn auch eher welche der Kategorie „Och jo“ statt „Aber sofort rein da“.

01.18:00. Alkoholauflösung und Verabschiedung.

Das Enthüllen der verpackten Flaschen war dieses Mal aufregender als sonst, denn wir hatten zwei Crémants alleine nach der Optik im Verdacht, eventuell gleich zu sein. Wir warten ja seit Monaten darauf, dass wir mal ein Duplikat am Tisch haben, aber – ich muss die Pointe leider verraten – es ist uns wieder nicht gelungen. Dafür war Felix mal wieder Sieger mit seinem Rosé-Crémant, der uns allen dreien am besten geschmeckt hat.

Crémant 1: Crémant de Loire, Beauchoisy, 12,5%, bei Rossmann für 8 Euro.

Crémant 2: Crémant de Loire Rosé, Baumard, Carte Corail, 12,5%, bei Geisels Weingalerie für 17 Euro.

Crémant 3: Crémant de Loire, Henri Delacote, 12,5%, bei Tengelmann für 7 Euro.

Ausstellung „Jean Paul Gaultier“

In der Hypo-Kunsthalle läuft noch bis Februar eine Ausstellung mit Kleidung von Jean Paul Gaultier. Ich zog also brav meinen Ringelpulli an und machte mich auf den Weg, um mir gut 160 Schaufensterpuppen anzuschauen.

Bereits im ersten Raum lernte ich, dass Haute Couture kein Schnickschnackbegriff ist, sondern bestimmte Anforderungen erfüllt sein müssen, damit ein Modehaus seine Kollektionen so bezeichnen darf:

„[D]ie jeweiligen Unternehmen müssen ein Maß-Atelier mit mindestens 15 (ehemals 25) Vollzeit-Angestellten betreiben, den Hauptsitz des Unternehmens in Paris führen und mindestens 35 (ehemals 50) verschiedene, von Hand gearbeitete, von einem Modeschöpfer kreierte Modelle für Tages- und Abendmode, welche alle Unikate sind, während der saisonalen Haute-Couture-Modenschauen in Paris der Presse präsentieren.“ (Wikipedia)

Was ich auch im ersten Raum lernte: wie alt der Cone Bra schon ist, der eines der ersten Stücke Gaultiers ist, an die ich mich erinnere. Auch die weiteren Klassiker in meinem Hinterkopf sah ich im Laufe der Ausstellung vor mir: den Ringelpulli in all seinen Variationen, den Männerrock und sogar eines meiner Lieblingsstücke, den wundervollen Vogelfedernbolero, den Dana International beim ESC 1998 trug.

Die Räume sind thematisch geordnet. Das klingt erstmal clever, aber es werden für einen Überbegriff alle Kollektionen der letzten 30 Jahre zusammengeworfen, was mich irgendwann doch irritiert hat. Ich hätte gerne eine Entwicklung gesehen, aber vielleicht ist die bei Mode nicht so leicht nachzuvollziehen wie bei darstellender Kunst; gerade Gaultier springt gerne von Inspiration zu Inspiration, von Material zu Material – das scheint keine logische Abfolge zu sein, sondern ein wildes Remixen von allem, was der Mann zu Gesicht bekommt. Genau das macht seine Mode so spannend – aber es macht es auch ein bisschen schwierig, von dieser Fülle im Laufe der Ausstellung nicht überwältigt zu werden. Meine Augen waren im vorletzten Raum schon ziemlich durch, und die Brautkleider, die traditionell als letzte auf den Laufsteg kommen und dementsprechend hier im letzten Raum zu sehen waren, hatten von vornherein verloren. Wo ich doch sonst so ein wedding chick bin.

Im ersten Raum stand ich am längsten vor einer Kreation aus der Spring/Summer Collection 2012 (jedenfalls sagt Google das; das Schild am Exponat sagt 2010): einem Korsettkleid, das von Amy Winehouse inspiriert wurde. Ich gebe zu, ich achte bei mir selbst recht selten auf wirklich gute Stoffe, was aber auch daran liegt, dass es in meiner Größe eben meist Mist zu kaufen gibt; als ob dicke Frauen irgendwie dankbar zu sein hätten, dass sie überhaupt irgendwelche Polyesterzelte zum Überwerfen kriegen. Daher versinke ich beim Klamottengucken in Museen auch gerne in Stofflichkeiten. Es ist frappierend, wie anders teure Materialien aussehen, fallen, verarbeitet sind als die Plünnen, die ich am Leib trage (und der Großteil meiner Umgebung). Man sieht den Kleidungsstücken hier auf jedem Zentimeter an, wieviel Sorgfalt und Liebe zum Detail in ihnen steckt.

Bei einigen Stücken ist die Herstellungsdauer angegeben. Ich habe mir nicht jedes Schild durchgelesen, aber ein Kleid imitierte ein Leopardenmuster durch Perlenstickerei, und das hat angeblich 1600 Stunden erfordert. Glaube ich sofort. Jetzt weiß ich auch, warum Haute-Couture-Models so schlank sind – für Frauen meiner Statur würde man die Kleidung in einem halben Jahr gar nicht fertigkriegen. Ach, wo wir gerade bei Frauen meiner Statur sind: In einem Raum wird großspurig darauf hingewiesen, dass Gaultier sich bei seinen Modellen auch mal (gewagt, gewagt) von der Modewelt-Normschönheit entfernt und zum Beispiel Beth Ditto laufen ließ. Ich hätte mich gefreut, wenigstens ein Kleidungsstück zu sehen, das nicht in Größe 32 vor mir steht, wenn es doch angeblich welche gibt. But that’s just me.

Was mir dagegen an der Show sehr gut gefallen hat: der Einsatz von lustigen Medien. So stehen im zweiten Raum neun Puppen aus der Jungfrauenkollektion 2007. Die stehen da aber nicht einfach so rum, sondern auf ihre Köpfe sind bewegte Gesichter projiziert, sie singen vor sich hin, lächeln, schauen den Betrachter an … das ist anfangs etwas unbehaglich, aber man gewöhnt sich recht schnell daran, ständig Geräusche oder Gesprächsfetzen im Hintergrund zu haben, in fast jedem Raum. Im Jungfrauenraum standen auch die ersten Matrosen (unter anderem ein Pulli aus gestreiftem Nerz), und ich fühlte mich in meinem Ringelpulli sehr wohl.

Natürlich wird auch auf die Zusammenarbeit mit Promis hingewiesen, wir sehen Fotos von Madonna, Conchita Wurst (ihre Schaufensterpuppe hatte einen Bart, das fand ich großartig), Kylie Minogue und so weiter und so fort. Das war mir aber doch eher wumpe, auch wenn ich mich gefreut habe, eines meiner Lieblingsbilder von Mondino mal in groß vor mir zu sehen. Aber ich fand die Kleidung, die nicht dadurch besonders wird, dass sie von Celebrities getragen wird, viel spannender. Im drittletzten Raum, dem Großstadtdschungel, stand ein Kleid aus der Russia-Kollektion von 1997/98, das ich sofort gekauft hätte, auch wenn gerade mein Oberschenkel darin Platz gefunden hätte (hier zu sehen, hier nochmal extra, und das Kleid ist in echt viel spektakulärer). Es besteht aus einem Tüllrock und einem langen Oberteil aus Wolle. Oben am Hals und an den Schultern sieht es wie ein simpler Strickpulli aus, aber dann werden aus den Längsstreifen plötzlich Zopfmuster, die in unterschiedlichen Höhen beginnen und nach unten auslaufen – in weitere, verschiedene Muster, mal feiner, mal gröber, das Kleid scheint plötzlich zu machen, was es will; ich musste an das Experiment mit den Spinnen denken, die man unter Drogen gesetzt hat, um zu sehen, was mit ihren Netzen passiert (Überraschung: Sie werden sehr lustig), und ich konnte mich an dem Kleid schlicht nicht sattsehen.

Ein weiterer Liebling lief, ja, lief, im vorletzten Raum, dem Punk Cancan, wo hauptsächlich Kleidung zu sehen war, die von Paris oder London inspiriert wurde. Hier war der Aufbau spannend: Man hatte wirklich einen Catwalk nachgebaut, auf dem die Pariser Modelle auf Schienen an einem vorbeiliefen. Man konnte sich an den Laufsteg setzen und ihnen zugucken wie in einer echten Modenschau. An der einen Saalseite standen die Londoner Puppen, auf der anderen hatte man Stühlchen hingestellt, auf denen Puppen mit weiteren Promiklamotten saßen. Für die Ausstellung wurde eine Haarstylistin engagiert, und so erkannte man Catherine Deneuve dann auch gleich an ihrer Frisur. Dass in dem Glitzergoldding mit Ausschnitt bis zum Bauchnabel Kim Kardashian gesteckt hatte, hätte ich mir fast denken können, aber ich musste doch aufs Schildchen gucken.

Auf dem Laufsteg kam mir dann mein liebstes Herrenmodell entgegen: ein langer, schwarzer Rock aus edlem Smokingstoff, der hinten zu einer Hose wurde. Dazu eine schwarze Smokingjacke – ein Traum. Ebenfalls auf dem Laufsteg: ein kurzes, beigefarbenes Kleid, das nur aus breit gestickten Worten bestand, die Paris beschreiben. (Ich finde leider keine Bilder.)

Ich mochte an der Ausstellung den kompletten Aufbau, der die variablen Räume der Hypo-Kunsthalle gut nutzt, und die detailverliebte Ausstattung jeder einzelnen Puppe. Ich war irgendwann von der Masse an Material und Farbe etwas überwältigt, aber ich nehme an, das ist Gewöhnungssache. Ich habe mir in den letzten Jahren angewöhnt, Bilder, Gebäude und Skulpturen genauer bzw. unter bestimmten Gesichtspunkten anzugucken – bei Kleidung muss ich noch etwas üben.

Einen spannenden Effekt hat die Ausstellung aber: Man hört draußen auf der Straße nicht damit auf, mal genauer auf Kleidung zu schauen. So fiel mir sofort die spannungsreiche Kombination aus knallrotem Rock und neonpinken Sneakers an einer jungen Frau auf, genau wie die grauen Hochwasserhosen an einem sehr schlanken Mann, der sie mit einem schwarzen Pulli kombinierte, der ihm leicht von den Schultern rutschte. In seinen schwarzen Schuhen steckten keine Socken. Der Herr neben mir in der Tram hatte in seinem karierten Jackett ein anderskariertes Einstecktuch, und die Kassiererin im Kaufhof, wo ich mir nach der Ausstellung ein bisschen gutes Futter gönnte, trug lange, fein ziselierte, goldene Ohrringe.

Tagebuch 21. September 2015 – BA-Note

Gestern um 11.15 Uhr schlug endlich die Mail des Prüfungsamtes bei mir auf, auf die ich seit Wochen gewartet hatte, und die mir mitteilte, dass meine Abschlussdokumente nun abholbereit wären. Das Amt hat bis 12 geöffnet. Ich überschlug kurz: Noch 24 Stunden warten und brav um 9 aufschlagen, um die Mappe abzuholen? Oder jetzt blitzschnell aus den Schlumpfklamotten schälen, die Wärmflasche vom Bauch nehmen (Frauenkram, Sie wissen schon) und aufs Fahrrad schwingen, um so gerade noch vor Schluss aufzulaufen? Die offensichtliche Antwort war die zweite, und so war ich um 11.40 im Prüfungsamt. Das uninahe Wohnen hatte sich mal wieder ausgezahlt.

Ich nannte meinen Namen und bat um meine Abschlussdokumente. Dafür musste ich ein Formular ausfüllen und unterschreiben: Name (krieg ich hin), Studiengang (klar), Matrikelnummer … konnte ich noch nie auswendig, aber ich hab ja immer meinen Studiausweis dabei. … Nicht. … Fürs Oktoberfest am Sonntag abend hatte ich mein Portemonnaie ausgeräumt und nur ein bisschen Geld, die EC-Karte, Perso und mein Semesterticket dringelassen. Nix Studiausweis. Aber, und ich bin sehr froh, dass mir das noch eingefallen ist, bevor ich den Besuch anrief, um ihn zu bitten, mir mal eben telefonisch meine Matrikelnummer aufzusagen vom Ausweis, der irgendwo in der Küche liegt, die im Moment eher dem Bermudadreieck ähnelt, aber, wie gesagt: das musste ich nicht machen, denn auf dem Semesterticket steht die Nummer auch drauf. Wenn man in München kontrolliert wird, muss man Ticket, Studiausweis und Perso vorzeigen. Okay, musste ich noch nie, aber das ist die offizielle Ansage. (Jetzt beim Schreiben fällt mir auf, dass ich dann gestern und vorgestern auch nicht alle Dokumente für die ordnungsgemäße Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs dabei gehabt hätte. Ups.)

Formular ausgefüllt und unterschrieben, Mappe in die Hand gedrückt bekommen, die Dame im Amt wünschte mir alles Gute, und dann konnte ich draußen im Gang endlich meine Endnote angucken, von der ich noch nicht wusste, wie sie lautete.

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Ich bin sehr stolz und glücklich. Hier könnt ihr nachlesen, womit ich mir die letzten drei Jahre die Zeit versüßt habe, und hier ist meine BA-Arbeit (1,3).

Fehlfarben 7: Ring my Bellebad

Heute im Programm: zwei Ausstellungen und drei Roséweine. Enjoy und Prost.

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Ein von @ankegroener gepostetes Foto am

00.00:00. Begrüßung, Vorstellungsrunde und Blindverkostung Wein 1.

00.03:50. Unsere erste Ausstellung: Lea Lublin (1929–1999) im Lenbachhaus. Drei begeisterte Daumen nach oben. Die erste Retrospektive der Künstlerin läuft noch bis zum 13. September.

Wir erwähnen nebenbei die Ugly Renaissance Babies sowie im Fazit das Werk „Espace perspectif et désirs interdits d’Artemisia G.“, das man auf der Website von Lublin anschauen und nachlesen kann. Der Text ist in diesem Buch erschienen.

00.34:00. Blindverkostung Wein 2 und noch mehr Lublin (Fazit ab 00.43:00).

00.48:00. Blindverkostung Wein 3.

00.49:45. Ausstellung Nr. 2: Zilla Leuteneggers Ring my Bell in der Pinakothek der Moderne. Ebenfalls drei begeisterte Daumen nach oben. Die kurzweilige und noch kürzer zu durchschreitende Installation läuft noch bis zum 4. Oktober.

Als kleine Zusatztipps für die Pinakothek der Moderne, weil man mit Leutenegger so schnell fertig ist: die Ausstellungen Plants for Blossfeldt und GegenKunst.

01.12:00. Die Weinhitliste: Florian und ich mochten Wein 3 am liebsten und Wein 2 am zweitliebsten, bei Felix war es umgekehrt. Wein 1 landete bei uns allen auf dem dritten Platz.

Wein 1: Graf AdelmannBrüssele“, Spätburgunder Rosé; Württemberg 2014, 11,5%, beim Tengelmann für 6,50 Euro.

Wein 2: Argiolas, „Serra Lori“, Cannonau, Monica, Carignano, Bovale Sardo; Sardinien 2014, 14%, bei Garibaldi für 9,20 Euro.

Wein 3: Mouton Cadet, „Le Rosé de Mouton Cadet“, Merlot (74%), Cabernet Franc (15%), Cabernet Sauvignon (11%); Bordeaux 2013, 12%, 9 Euro.

Semesterferien-Rumlesen: Kunst im Nationalsozialismus

Normalerweise ist die Zeit nach Vorlesungsende die, in der ich Hausarbeiten schreibe. In diesem Semester ist das natürlich anders, denn alles, was ich abgeben musste, ist bereits abgegeben: mein Praktikumsbericht (über meine Berufstätigkeit, aber nun gut), meine BA-Arbeit, meine Französischklausur. Alle Referate sind gehalten, ich habe nichts mehr zu tun, bis die LMU oder die Uni Hamburg sich entscheiden, mich als Master weiterstudieren zu lassen.

Deswegen habe ich jetzt endlich mal Zeit, ausführlich in der Bibliothek zu sitzen und zum Vergnügen zu lesen, ohne Ziel, ohne einen roten Faden für ein Referat oder eine Hausarbeit im Kopf zu haben, einfach nur so da sitzen und lesen, was mich spontan gerade interessiert.

Wobei „spontan“ hier die falsche Formulierung ist: Die Kunst des Nationalsozialismus interessiert mich schon länger. Die Zeit zwischen 1933 und 1945 ist die, über die ich historisch am besten Bescheid weiß, weil ich vor 30 Jahren angefangen habe, über sie zu lesen und zu lernen. Mit ihrer Kunst befasse ich mich erst seit sechs Semestern etwas näher, und vor allem eine Vorlesung im Wintersemester 2014/15 hat bei mir viel Nachdenken angestoßen und meine Neugier weiter geweckt.

In der Pinakothek der Moderne hängt gerade eines der bekanntesten Werke aus der NS-Zeit, Die vier Elemente von Adolf Ziegler. Daneben steht die Skulptur Zwei Menschen von Josef Thorak, die auch in 1941 der Großen Deutschen Kunstausstellung zu sehen war.

Generell bekommt man Werke aus dieser Zeit eher selten zu Gesicht, außer im Deutschen Historischen Museum in Berlin oder im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, wo einige Werke zur ständigen Sammlung gehören. Weitere Werke stehen verschämt in den Depots, werden aber nicht gezeigt – und seit einiger Zeit frage ich mich, warum? Je weniger wir sie sehen, desto dämonischer werden sie, und genau das haben sie überhaupt nicht verdient. Julia Voss schrieb im Merkur 2012 (leider nicht vollständig online) über den virtuellen Gang durch die Große Deutsche Kunstausstellung: „Wer im Internet die Ausstellungsräume durchschreitet, fühlt sich wie jemand, der eine Höhle betritt, von der es hieß, sie sei von Drachen bewohnt, und darin auf Eidechsen, Molche und Lurche trifft.“

Das Zitat stammt aus einem Aufsatz von Christian Fuhrmeister, den ich gestern als erstes las: Kunst im Nationalsozialismus: Rezeptionsgeschichte, Forschungsstand und Perspektiven, in: Holger Germann/Stefan Goch (Hrsg.): Künstler und Kunst im Nationalsozialismus. Eine Diskusssion um die Gelsenkirchener Künstlersiedlung Halfmannshof, Essen 2013, S. 11–20. Fuhrmeister beschreibt zunächst den schlechten Forschungsstand, was NS-Kunst angeht:

„Bis vor kurzem hat die Kunstgeschichte vor allem jene Werke berücksichtigt, die während des nationalsozialistischen Regimes in Büchern, Katalogen, Zeitschriften oder Zeitungen publiziert worden waren, oder die als Postkarte oder in der medialen Berichterstattung (Wochenschauen etc.) die Öffentlichkeit erreichten. Im Falle der GDK bedeutet dies konkret, dass von den bis zu 1.800 Exponaten pro Jahr nur rund 60, also nur gut drei Prozent, in den Katalogen abgebildet wurden. Dieser außerordentlich selektive Materialzugriff – der im Kern die Prinzipien der Bildauswahl im Nationalsozialismus fortschreibt, also den Eigeninterpretationen des NS-Regimes folgt –, ist nur sehr selten kritisch reflektiert worden.“ (S. 12)

Erst die digitale Aufbereitung durch die Bereitstellung der Bild- und Forschungsdatenbank zur GDK schaffte einen ersten Überblick über das, was die Nationalsozialisten als ausstellungswürdig betrachteten:

„Von den zwischen 1937 und 1944 circa 12.500 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung zum Verkauf angebotenen Werken war jedenfalls vor Freischaltung der Datenbank nur bei rund 10% der Exponate überhaupt bekannt, wie sie aussahen. Anders gesagt: 2012, 75 Jahre nach der Eröffnung der ersten Großen Deutschen Kunstausstellung im Jahr 1937, wissen wir von der „Kunst des Nationalsozialismus“ nach wie vor noch kaum etwas, oder nur sehr wenig. So müssen etwa die „Top Five“ der GDK, das heißt diejenigen Künstler, die dort am häufigsten ausstellten (Franz Eichhorst, Hans Müller-Schnuttenbach, Raffael Schuster-Woldan, Anton Müller-Wischin und Peter Philippi) als grosso modo unbekannt bzw. unbearbeitet gelten. Es gibt keine kritischen Studien […], sondern nur eher affirmative Retrospektiven; es gibt keine solide kunsthistorische Bearbeitung, ja [zu Philippi] noch nicht einmal verlässliche biographische Daten […]. Fast 50 Werke präsentierte Philippi in der zentralen nationalsozialischen Leistungsschau, doch selbst in der exzellenten Bibliothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte kann nur eine einzige kursorische Erwähnung in über 500.000 Fachbüchern nachgewiesen werden.“ (S. 12/13)

Fuhrmeister erläutert, wie diese Leerstelle zustande kam: Bis weit in die 1960er Jahre hinein wurde die NS-Kunstgeschichte totgeschwiegen und tabuisiert, Biografien wurden gesäubert, Werkverzeichnisse gekürzt, Städte und Museen tilgten bewusst Erinnerungen. Die sogenannte Giftschrankpolitik der amerikanischen Militärregierung tat ein übriges: Viele Werke wurden eingezogen und unter Verschluss behalten. Erst in den 1990er Jahren erwachte ein Interesse an diesen Werken. Wer sich nun mit dieser Kunst befassen wollte, konnte aber nicht auf Verzeichnisse zurückgreifen, die in renommierten Häusern publiziert wurden, sondern musste sich mit einer Enzyklopädie der Kunst im Dritten Reich begnügen, die zwischen 1988 und 1995 bei einem rechtsextremen Verlag veröffentlicht wurde.

Im Verlauf des Aufsatzes kommt Fuhrmeister auch auf die Rezeptionsgeschichte zu sprechen, und das ist der Teil, der mich persönlich sehr interessiert:

„Ungeachtet aller Differenzierungsversuche, aller minutiösen Herausarbeitungen von Brüchen und Kontinuitäten, herrscht in vielen Köpfen ein klares Bild vor: hier klassische Moderne, dort ideologisch kontaminierte und politisch indoktrinierende NS-Kunst.“ (S. 15) Allerdings kann gerade die angestrebte Indoktrination nicht immer nachgewiesen werden. Die Forderung nach einer „ideale[n], rassereine[n] Gestaltung“ (S. 16) ist belegbar, ihre konsequente Umsetzung allerdings nicht. Die Kunst nach 1933 war nicht einheitlich, sondern vielfältig – unser Bild von ihr ist es aber nicht. Fuhrmeister beschreibt einige Ausstellungsräume der GDK und zeigt, dass teilweise schlicht dekorativer Charakter vorherrscht. Gleichzeitig weist er auf Widersprüche in der Bildauswahl hin: Welche Bilder waren ausstellungwürdig, welche nicht, obwohl sie sich ähneln?

„Einen Kanon, eine Einheitlichkeit […] werden wir dabei kaum finden, und zwar selbst dann nicht, wenn sich mehrere Künstler demselben Motiv widmen. Die Familie als Kern der Volksgemeinschaft hängt bei der GDK 1938 dreifach im Treppenhaus: Links als ganzfigurige, steif-biedere Idylle („Deutsche Siedlerfamilie“ von Georg Siebert), in der Mitte als erdverbunden-bildungsbürgerliches Gruppenporträt („Landarzt Dr. Ursin im Kreise seiner Familie“ von Albert Janesch) und rechts als penetrant arische Version („Deutsche Familie“ von Wolfgang Willrich) – ganz unterschiedliche Konfigurationen, ganz unterschiedliche Wertvorstellungen. Das latent und manifest ideologische Motiv der Familie kann freilich kaum eine konzentrierte Wirkung entfalten, werden diese drei Werke doch sorgfältig von Blumenstillleben interpunktiert, mit Mädchenköpfen in die Symmetrie getrieben und von Tierplastiken flankiert. Genuin dekorative Aspekte spielen offenkundig eine wesentlich wichtigere Rolle als bisher angenommen. Doch erst dieser Ensemble-Charakter – die mise-en-scène der ausgewählten Kunstwerke – ermöglicht eine Annäherung an den zeitgenössischen Betrachterhorizont und damit ein besseres Verständnis von Anspruch und Zielen der Kunst im Nationalsozialismus. Und wenn es auch motivisch stärker geschlossene Räume gibt, die etwa ausschließlich Tier- oder Industriedarstellungen oder weiblichen Akten gewidmet sind, so können dennoch zahlreiche Räume beim besten Willen nicht auf einen Nenner gebracht werden. Badende sind mit Autobahnbrücken konfrontiert, Panzer mit Hundeporträts, und stets lugt eines der omnipräsenten Blumenstillleben um die Ecke.“ (S. 17/18)

Über den Umgang mit Kunst, die zwischen 1933 und 1945 entstand sowie mit ihrer Ästhetik, befasst sich auch Christoph Zuschlag in seinem Beitrag zu einem Ausstellungskatalog: Ein schwieriges Erbe. Über den Umgang mit Kunst aus der NS-Zeit, in: Marlene Lauter/Museum im Kulturspeicher Würzburg (Hrsg.): Tradition & Propaganda. Eine Bestandsaufnahme. Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus in der Städtischen Sammlung Würzburg, Würzburg 2013, S. 15–25. Auch Zuschlag fordert, dass diese Bilder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen, und auch er schreibt, dass es keinen einheitlichen, „dämonischen“ Kanon gebe. Er weist aber darauf hin, dass die Werke durchaus einer gewissen politischen Linie zu folgen hatten:

„Entgegen dem eigenen Anspruch, eine „revolutionäre“, eine „neue deutsche Kunst“ zu schaffen, erwies sich die vom Staat geförderte Kunst in erster Linie als kontramodern und restaurativ. Das zeigt sich am deutlichsten in der Malerei, in der die traditionelle Gattungsmalerei des 19. Jahrhunderts – Historienmalerei, Porträt, Genre, Landschaft, Stillleben, Akt und Allegorie – wiederbelebt, eine Rückkehr zur altmeisterlichen Malerei propagiert und das Handwerkliche betont wurde. Auch wenn es keinen einheitlichen Stil und keinen ästhetischen Kanon gab, war die stilistische Bandbreite gering, weil eine „volksnahe, naturalistische Gegenständlichkeit gefordert war. Thematisch ging es auch hier um eine Illustration der NS-Propaganda und um Rollenklischees: die Frau als Mutter, als „Lebensquell“, als „Hüterin des Lebens“, oder „Hüterin der Art“; der Mann als Bauer, Handwerker, Held, edler Kämpfer und Soldat; die „arische“ Familie als Keimzelle der „Volksgemeinschaft“; Landschaft als Ausdruck von Heimat, als Symbol der Verwurzelung mit der „deutschen Scholle“, als Bestandteil der „Blut-und-Boden“-Ideologie etc. Weit verbreitet waren außerdem bäuerliche Szenen. Dabei beschworen die Bilder bäuerlicher Arbeit und Lebensweise eine agrarische, vorindustrielle Idylle, die mit der Realität der hochtechnisierten Gesellschaft im NS-Staat nichts zu tun hatte. Hier zeigt sich exemplarisch, wie die Kunst im NS-Staat sich zwar volkstümlich gab, in Wahrheit aber verlogen war, indem die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse verschleiert wurden.“ (S. 21)

Zuschlag weist auch auf das politische Potenzial scheinbar unpolitischer Bilder hin: Gerade die in einer Vielzahl vertretenen und auch von Fuhrmeister erwähnten Blumenstillleben verschleiern die Zeit des Krieges und gaukeln eine heile Welt vor, die nicht mehr existiert. Wären sie allerdings vor 1933 oder nach 1945 gemalt worden, könnte man sie nicht als „NS-Kunst“ abqualifizieren.

Über diesen Widerspruch muss ich noch nachdenken. Mir ist schon klar, dass ein und dasselbe Bild in verschiedenen Zeiten unterschiedlich wahrgenommen wird, aber gerade an diesen unpolitischen und dann doch politischen Bildern knabbere ich noch rum. Im Aufsatz wird auf einige Künstler hingewiesen, die schon vor 1933 einen naturalistisch-gegenständlichen Stil hatten und ihn beibehalten konnten; für einige Künstler der Neuen Sachlichkeit wurde das bereits untersucht. Buchtipps für mich zum Merken und Noch-Lesen: Markus Heinzelmann: Die Landschaftsmalerei der Neuen Sachlichkeit und ihre Rezeption zur Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1998 und Olaf Peters: Neue Sachlichkeit und Nationalsozialismus. Affirmation und Kritik 1931–1947, Berlin 1998.

Zuschlag erwähnt auch kurz die Qualität der Bilder der GDK. Durch die rigide Kunstpolitik konnten viele begabte Künstler_innen ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen, während viele Minderbegabte plötzlich ausstellen konnten, schlicht weil ihre Werke dem Zeitgeist entsprachen und sie kulturpolitisch unauffällig waren. Das bedeutet aber nicht, dass jedes Bild, das damals im Haus der Kunst hing, von vornherein als ästhetisch minderwertig angesehen werden kann.

Noch mal zurück zur Linie der damaligen Kunst. Nach den beiden Aufsätzen begann ich ein Buch von Elke Frietsch: „Kulturproblem Frau“. Weiblichkeitsbilder in der Kunst des Nationalsozialismus, Köln 2006. Das habe ich gestern natürlich nicht durch-, sondern nur anlesen können, aber schon in der Einleitung fand ich Spannendes:

„Mein Interesse bei der Analyse von NS-Körperbildern ist auf ein ganz bestimmtes Phänomen gerichtet: Bei Durchsicht der während der Zeit des Nationalsozialismus erschienenen Kunstzeitschriften fällt auf, dass die Auseinandersetzung in den Kunstberichten [Kunstkritik war seit 1936 verboten] beständig um Begriffe wie „Abbild“ und „Idealbild“, „Form“ und „Inhalt“ kreisen. […] In der Gegenüberstellung von als entartet verfemter Kunst mit den Fotografien von Körpern realer Menschen wird eine Normierung geschaffen, doch mit der Setzung einer Norm, deren Kriterien exakt nachprüfbar sein sollen, werden auch der eigenen, idealisierten Kunst Schranken gesetzt. Schließlich birgt das Streben nach wissenschaftlicher Objektivität eine Gefahr für den „weltanschaulichen Diskurs des „Führers““. In der Philosophie im NS wird dieser Gefahr durch eine Ablehnung des Formalismus und Empirismus begegnet. Wird in parteiamtlichen Formulierungen von NS-Theoretikern ebenso wie in der Philosophie nie eindeutig definiert, was die deutsche „Rasse“ sei, so vermeiden es die Kunstberichterstatter, präzise Aussagen über den „deutschen Stil“ zu treffen. Stattdesen wird beständig die Rede von der „Klarheit“ der Kunst bedient. [Es] klingt die Forderung an die Kunst an, Leerstellen in der Weltanschauung in einem vermeintlich ganzheitlichen Bild zu überblenden. Die Programmatik ist vor dem Hintergrund unzähliger Aussprüche zu sehen, in denen die Kunst gegenüber dem Intellekt abgegrenzt und aufgewertet wird.

Hitler wollte den Staat als „Gesamtkunstwerk“ inszenieren, wobei auch Legitimationsversuche aus den Geisteswissenschaften herangezogen wurden, die wissenschaftliches Arbeiten resp. Streben nach Faktizität durch Mythos ersetzten. Dort, wo theoretische Unschärfen offensichtlich sind, soll die Kunst „Wahrheit“ suggerieren. Sprechen die Philosophen vage von „geistiger Zielsetzung“ und „geistiger Überlieferung“, um das „neue Menschenideal“ zu erfassen, so erklären die Kunstberichterstatter, dass das „neue Wesen“ hinter dem äußeren Erscheinungsbild liege. Es sei gerade die Qualität dieses Wesens, dass es nicht mit dem Verstand definiert, sondern nur über das Gefühl, das „innere Auge“ erlebt werden könne. Originalton der „Türmer“ 1941: „Nicht begreifen wollen wir Deutsche, sondern erleben. Wir müssen endlich mal unsere Bildung überwinden.“ (S. 11–13)

In der oben erwähnten Ausstellung in der Pinakothek der Moderne liegen auch einige Zeitungsberichte aus. Die News Review vom 7. Juli 1938 berichtet über die Ausstellung der „entarteten“ Kunst und der zugleich eröffneten GDK und erwähnt, was die Nazis unter nicht-kunstwürdiger Kunst verstehen: „Jewish, wrong theme, wrong treatment.“ Was genauso blumig bleibt wie von Frietsch beschrieben. Sie zitieren Hitler, der 1937 über Impressionismus und Futurismus gesagt haben soll: „I wish to forbid such lamentable unfortunates who plainly suffer from defective sight, who try to talk the world into accepting their false observation of reality.“

Wer mehr über den Umgang mit Kunst aus der NS-Zeit oder Adolf Ziegler wissen will, kann sich zwei Vorträge der Pinakotheken auf YouTube gönnen: eine Podiumsdiskussion zur Ausstellung und einen Vortrag von Christian Fuhrmeister über Ziegler.

(Die Reihe „Semesterferien-Rumlesen“ wird vermutlich locker fortgesetzt.)

„Und, Anke, wie war so dein sechstes Semester?“

Durchwachsen.

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes Semester.)

Ich muss meine übliche Uni-Lobhudelei mit einer etwas unschönen Nachricht beginnen, die meine Twitter-Follower_innen bereits kennen oder ahnen: Der Kerl und ich haben uns getrennt. Schon im März, brav und erwachsen in beiderseitigem Einvernehmen, alles zivilisiert, alles töfte. Trotzdem war und bin ich sehr traurig. Wenn man sich elf Jahre lang im Gefühl eingerichtet hat, dass da neben einem der Mensch ist, mit dem man es sein ganzes Leben lang aushalten könnte, dann ist das doch ungewohnt, ihn auf einmal nicht mehr neben sich zu haben. Oder auch nur per Facetime 800 Kilometer nördlich. Aber genau das hat uns zuletzt das Genick gebrochen: Wir haben uns zu selten gesehen, und weil wir uns nicht täglich versichert haben, wie’s uns geht, haben wir uns in verschiedene Richtungen entwickelt. Ich musste mir eingestehen, dass es mich glücklicher macht, in München alleine in einer Bibliothek zu sitzen als in Hamburg gemeinsam vor dem Fernseher, und ich musste mir sagen lassen, dass ich in Hamburg nicht wirklich fehle, wenn ich nicht da bin. Eigentlich haben wir uns schon vor drei Jahren getrennt, es aber erst vor gut einem halben Jahr gemerkt. Es gab im Laufe des Semesters noch zaghafte Versuche, den Zustand doch wieder zu ändern, aber die endeten alle in mittleren Desastern und vielen Tränen.

Deswegen startete ich etwas waidwund und wackelig in mein letztes Semester, und als ob die persönliche Schwere nicht schon anstrengend genug gewesen wäre, gelang mir in diesem Halbjahr auch akademisch erst mal gar nichts. Das Thema, was ich mir schon im vierten Semester für meine BA-Arbeit ausgesucht hatte, entpuppte sich beim ersten ernsthaften Bearbeiten als totaler Quatsch. Was ich daraus gelernt habe: Bevor ich mein Master-Thema einreiche, denke ich da nicht nur länger drüber nach, sondern suche auch schon nach Literatur, mache eine Gliederung und habe die Arbeit quasi schon geschrieben, bevor ich sie schreibe.

So fürchterlich das für mich als kleine Perfektionistin war, mich wieder und wieder an einer Arbeit scheitern zu sehen, so viel nehme ich aus diesem Scheitern für die nächsten vier Semester mit.

Erstens (der Satz stammt von meinem Prüfer und ich werde ihn nie vergessen): „Nehmen Sie sich EIN Objekt vor und nicht die ganze Kunstgeschichte.“

Zweitens: Stell dir eine Frage und keine Aufgabe, wie du es aus der Werbung gewohnt warst. Du sollst hier nix erfinden, du sollst eine wissenschaftliche Frage beantworten. Deswegen sollst du auch keine Datenbank konzipieren, sondern dich eher mit der Auswertung einer solchen beschäftigen. Oder mit dem Arbeitsmittel „Architektonische Datenbanken seit 2005“. Oder schreib von mir aus ein Essay, das alle Datenbanken zu Teufelswerk erklärt und dass wir nie von den Bäumen hätten runterkommen dürfen. Aber kümmere dich um Ergebnisse, nicht um die Produktion eines neuen Werkzeugs. Das sollen mal schön die Informatiker_innen machen.

Drittens: Wenn du nur lange genug in der Bibliothek sitzt und liest, wird alles wieder gut. Wein, gute Freunde und das Internet helfen auch. Aber die Bibliothek ist dein happy place.

Ich habe gelernt, dass es eine weise Entscheidung war, im fünften Semester so rangeklotzt zu haben, um fast alle Pflichtkurse zu erledigen. Ich hatte in diesem Semester nur eine Übung (Montag morgen) und das Kolloquium für Examenskandidaten plus einen freiwilligen Französischkurs (beide Donnerstags), so dass ich den ganzen Rest der Woche folgendermaßen gestalten konnte: um 8 aufstehen, um Punkt 10 hibbelig vor dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte aufschlagen, ab 10.05 Uhr lesen – so lange ich wollte, denn ich hatte ja sonst nichts mehr zu tun. Mein einziges Referat habe ich in die letzte Vorlesungswoche gelegt, in der auch die Französischklausur stattfand, und dafür musste ich erst arbeiten, als die BA-Arbeit schon abgegeben war. Dass die so ein Brocken war, konnte ich nicht ahnen, aber wie oben beschrieben: Ich habe viel aus ihr bzw. dem Prozess ihrer Erstellung gelernt. (Vor allem Demut.)

Ich habe gelernt, wie spannend es ist, anderen bei ihren Projekten zuzuschauen. Im Kolloquium stellten wir reihum unsere Arbeiten vor, und das waren nicht nur die Bachelors, sondern auch die angehenden Master, Magister und Doktor_innen. Ich mochte den Querschnitt an Interessen, den ich vorgetanzt bekam, auch wenn er natürlich gefiltert war, weil mein Prüfer sich auf Architektur und bayerische Kunstgeschichte spezialisiert hat. Da waren Arbeiten über einige Gebäude in Lemberg und Madrid (Atocha), über ein polnisches Stadtvierteil und seine Häuserentwicklung, über das Werk Erich Mendelsohns in Jerusalem und das von Adolf Voll in Fürstenfeldbruck. Eine Doktorandin besprach die Richtung ihrer Arbeit (das Thema verschweige ich mal lieber, ist ja nicht meins), was ich besonders lehrreich fand: zu sehen, dass man sich einem Stoff aus verschiedenen Richtungen nähern kann und vor allem aus welchen. Erstellt man schlicht einen Werkkatalog, weil er noch nicht existiert? (Nett, aber langweilig.) Oder setzt man das zu untersuchende Werk in einen Bezug zu anderen aus dieser Zeit? (Netter.) Oder geht man das ganze sozialwissenschaftlich an, indem man guckt, wer sich diese Werke außer dem Fürstenhof noch geleistet hat, wohin sie verkauft wurden und was dann aus ihnen wurde? Waren sie repräsentativ, eine Wertanlage, ein Zeichen von Status oder einfach nur Deko? (Da soll’s jetzt hingehen.)

Die Diskussionen um die Erarbeitung der Themen war für mich meist spannender als das Thema selbst. Und auch wenn ich mein Referat großflächig verkackt habe (immerhin mein einziger Referats-Reinfall im BA), hat mir die Kritik daran doch schlussendlich nach zwei Fehlversuchen den Weg zur Arbeit gezeigt.

Ich habe gelernt, dass ich eine BA-Arbeit in deutlich weniger als zehn Wochen schreiben kann, wenn ich muss. Ich hoffe, dass die Note noch erträglich wird. Meine Lieblingsnote wird’s nicht, das ahne ich jetzt schon, aber ich hoffe, die Arbeit ist in den Augen des Prüfers so ordentlich wie ich sie haben wollte.

Ich habe gelernt, wie sich richtig guter Sprachunterricht anfühlt.

Ich habe gelernt, dass sich das fünfsemestrige Warten auf die Nutzung des Zentralinstituts für Kunstgeschichte aber so was von gelohnt hat.

Als ich mit dem Studium anfing, durfte man erst ins ZI, wenn man ein Forschungsprojekt vorweisen konnte. Man kam zwar in das Gebäude rein, auch als Touri, um sich die lustigen Abgüsse von antiken Statuen anzugucken, aber in die Bibliothek durften wir als LMU-Studis erst ab dem Semester, in dem wir unsere BA-Arbeit schrieben. Vorher waren wir anscheinend unwürdig oder sollten mit unseren Brei-und-Knete-Kleinkind-Fingern die schönen Bücher nicht angrabschen. Seit Anfang 2015 gilt diese fiese Regelung nicht mehr, jetzt dürfen wir ab dem ersten Semester rein, und ich kann nur allen Erstis raten: Macht das. Es ist das Paradies für Kunsthistoriker_innen.

Wo ich vorher von Bibliothek zu Bibliothek radeln und tagelang auf Bücher warten musste, setze ich mich hier in den (allerdings relativ kleinen und unklimatisierten) Lesesaal, klappe meinen Rechner auf, suche im hauseigenen Katalog nach Literatur – und fahre dann mit dem schnellsten Fahrstuhl Münchens durch fünf Stockwerke voller Schätze. Es gibt nichts, was hier nicht steht. Ich habe noch jede obskure Zeitschrift gefunden, von der ich vor der Sucheingabe nicht mal wusste, dass sie existiert. Hier wird alles gesammelt, was irgendwie mit Kunst zu tun hat, und es steht direkt vor meiner Nase. Man kann sich einen kleinen Handapparat anlegen, die Mitarbeiter_innen sind freundlich und hilfsbereit, und ich möchte da wohnen. In den ersten fünf Semestern haben mich schon alle Uni-Bibliotheken und die Stabi zu einem Fan dieser Einrichtung werden lassen, aber das ZI war in diesem für mich auf allen Ebenen sehr herausfordernden sechsten Semester meine kleine, stille Rettungsinsel.

Ich habe gelernt, dass die Ahnung aus dem fünften Semester („Ich glaube, ich bleibe bei Architektur und digitaler Kunstgeschichte“) die richtige war. Momentan klackert auch die NS-Zeit im Hinterkopf rum – was daran liegen könnte, dass ich sie in München dauernd vor der Nase habe –, aber ob das mein Fokus im Master wird, weiß ich noch nicht. Jedenfalls habe ich mich um einen Master-Studienplatz beworben und gucke mal, ob mich München oder Hamburg weiterlernen lassen. (Ich hoffe natürlich auf München.)

Ich habe gelernt, dass ich ein Netzwerk brauche. In den ersten Semestern habe ich mich blöderweise nicht wirklich um Kontakte bemüht – da war der grandiose Plan ja noch, hier bindungslos drei Jahre zu studieren und dann schön wieder ins Beziehungs- und Werbehamburg zurückzukehren. Der Plan war schon etwas länger wackelig und jetzt ist er durch, und ich habe in der Zeit, in der ich orientierungslos mit der BA-Arbeit kämpfte, sehr einen Sparringspartner vermisst, mit dem ich über Kunstgeschichte hätte reden können. Also nicht nur aus einer interessierten Perspektive, sondern aus einer akademischen. Daher habe ich wenigstens zum Schluss dieses Semesters versucht, ein bisschen aus meinem selbstgewählten Schneckenhaus rauszukommen, habe mir endlich mal ein paar Namen meiner Kommilitoninnen gemerkt und bin brav mitgegangen, wenn es hieß, lasst uns nach dem Seminar doch noch ein Bier zusammen trinken, wo ich sonst immer geflüchtet bin. Das werde ich im Master noch mehr machen müssen, auch wenn es meinem Einzelkämpfertum eher widerstrebt.

Ich habe (mal wieder) gelernt, dass mich Lernen beflügelt, befreit, erhebt und glücklich macht. Es trocknet sogar Tränchen, weil man nicht lesen kann, wenn man heult.

Ich habe gelernt, dass die Entscheidung für das Studium die richtige war, auch wenn sie mich eine Beziehung gekostet hat. Ich will nicht mehr die Art von Werbung machen, wie ich sie gemacht habe, ich will nicht weiter irgendwie zufrieden irgendwo einfach nur sein, sondern ich will mich herausfordern und wachsen.

Und ich habe gelernt, dass aus einem guten Freund plötzlich mehr werden kann. Das ist aber alles noch so frisch, dass der Herr noch nicht mal einen Namen fürs Blog hat.

In diesem Zusammenhang: Wenn sich die Hamburger Damenwelt bitte irgendwann um den Kerl kümmern könnte? Ich kann den unbedingt weiterempfehlen. Wenn man sich durch seine knorrige Schale gearbeitet hat, ist er sehr flauschig, bringt einen immer zum Lachen und trägt freiwillig Koffer und Einkaufstüten die Treppe hoch.