Über die Fotografie

„[W]as die PHOTOGRAPHIE endlos reproduziert, hat nur einmal stattgefunden: sie wiederholt mechanisch, was sich existenziell nie mehr wird wiederholen können. In ihr weist das Ereignis niemals über sich selbst hinaus auf etwas anderes: sie führt immer wieder den Korpus, dessen ich bedarf, auf den Körper zurück, den ich sehe; sie ist das absolute BESONDERE, die unbeschränkte, blinde und gleichsam unbedarfte KONTINGENZ, sie ist das BESTIMMTE (eine bestimmte Photographie, nicht die Photographie), kurz, die TYCHE, der ZUFALL, das ZUSAMMENTREFFEN, das WIRKLICHE in seinem unerschöpflichen Ausdruck. Um die Wirklichkeit zu bezeichnen, spricht der Buddhismus von sunya, dem Leeren, oder besser noch von tathata, dem so und nicht anders Beschaffenen, dem bestimmten Einen; tat bedeutet im Sanskrit dieses und erinnert an die Geste des kleinen Kindes, das mit dem Finger auf etwas weist und sagt: TA, DA, DAS DA! Eine Photographie ist immer die Verlängerung dieser Geste; sie sagt: das da, genau das, dieses eine ist’s! und sonst nichts; sie kann nicht in den philosophischen Diskurs überführt werden, sie ist über und über mit der Kontingenz beladen, deren transparante und leichte Hülle sie ist. Zeige deine Photographien einem anderen; er wird sogleich die seinen hervorholen und sagen: „Sieh, hier, das ist mein Bruder; das da, das bin ich als Kind“ und so weiter; die PHOTOGRAPHIE ist immer nur ein Wechselgesang von Rufen wie „Seht mal! Schau! Hier ist’s!“; sie deutet mit dem Finger auf ein bestimmtes Gegenüber und ist an diese reine Hinweis-Sprache gebunden. Daher kann man zwar sehr wohl von einer Photographie sprechen, doch, wie mir scheint, mitnichten von der PHOTOGRAPHIE.“

Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, 14. Aufl., Frankfurt/Main 2012, S. 12/13.

Über Pop-Art und das Ende der Moderne

„Die sechziger Jahre waren ein Paroxysmus der Stile, in dessen Verlauf, so will mir scheinen – und auf dieser Grundlage sprach ich überhaupt vom „Ende der Kunst“ –, es allmählich, zuerst durch die nouveaux réalistes und dann durch die Pop-Art, klar wurde, daß Kunst im Vergleich zu den von mir „bloß reale Dinge“ genannten Objekten kein bestimmtes Aussehen aufweisen mußte. Um mein Lieblingsbeispiel anzuführen: Nichts braucht äußerlich einen Unterschied zwischen Andy Wahrhols Brillo Box und den Brillo-Kartons im Supermarkt zu markieren. Die Konzeptkunst hat gezeigt, daß ein Werk der bildenden Kunst nicht einmal ein greifbares visuelles Objekt erfordert. Das heißt, daß sich die Bedeutung von Kunst nicht mehr anhand von Beispielen lehren ließ. Es bedeutete, das Erscheinungsbild betreffend konnte alles Kunst sein und man mußte von der sinnlichen Erfahrung auf das Denken umschalten, um herauszufinden, was Kunst war. Kurz gesagt, man mußte sich an die Philosophie wenden. (…)

Erst als klar wurde, daß alles Kunst sein konnte, war philosophisches Denken über Kunst möglich. Das war der Auslöser für eine wirklich allgemeine Kunstphilosophie. Und die Kunst selbst? Wie stand es mit der „Kunst der Philosophie“ – um den Titel von [Joseph] Kosuths Essay [Art After Philosophy, 1969] zu verwenden, der selbst ein Kunstwerk sein könnte? Wie steht es mit der Kunst nach dem Ende der Kunst, wobei „nach dem Ende der Kunst“ in meinem Diskurs „nach dem Erstehen philosophischer Selbstreflexion“ bedeutet? Wobei ein Kunstwerk aus einem beliebigen Objekt bestehen kann, das als Kunst ins Recht gesetzt wird und die Frage aufwirft: „Warum bin ich Kunst?“

Mit dieser Frage war die Geschichte der Moderne vorbei. Sie war vorbei, weil die Moderne zu sehr lokal beschränkt und zu materialistisch war, da es ihr um Form, Oberfläche, Pigment und dergleichen ging, die alle den Reinzustand der Malerei definierten. (…) Mit dem philosophischen Mündigwerden der Kunst wird das Visuelle (…) unwichtig, ist fortan so wenig relevant für das Wesen der Kunst, wie sich die Schönheit als nicht relevant erwies.“

Danto, Arthur Coleman: Das Fortleben der Kunst, München 2000, S. 35–39.