„Und, Anke, wie war so dein sechstes Semester?“

Durchwachsen.

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes Semester.)

Ich muss meine übliche Uni-Lobhudelei mit einer etwas unschönen Nachricht beginnen, die meine Twitter-Follower_innen bereits kennen oder ahnen: Der Kerl und ich haben uns getrennt. Schon im März, brav und erwachsen in beiderseitigem Einvernehmen, alles zivilisiert, alles töfte. Trotzdem war und bin ich sehr traurig. Wenn man sich elf Jahre lang im Gefühl eingerichtet hat, dass da neben einem der Mensch ist, mit dem man es sein ganzes Leben lang aushalten könnte, dann ist das doch ungewohnt, ihn auf einmal nicht mehr neben sich zu haben. Oder auch nur per Facetime 800 Kilometer nördlich. Aber genau das hat uns zuletzt das Genick gebrochen: Wir haben uns zu selten gesehen, und weil wir uns nicht täglich versichert haben, wie’s uns geht, haben wir uns in verschiedene Richtungen entwickelt. Ich musste mir eingestehen, dass es mich glücklicher macht, in München alleine in einer Bibliothek zu sitzen als in Hamburg gemeinsam vor dem Fernseher, und ich musste mir sagen lassen, dass ich in Hamburg nicht wirklich fehle, wenn ich nicht da bin. Eigentlich haben wir uns schon vor drei Jahren getrennt, es aber erst vor gut einem halben Jahr gemerkt. Es gab im Laufe des Semesters noch zaghafte Versuche, den Zustand doch wieder zu ändern, aber die endeten alle in mittleren Desastern und vielen Tränen.

Deswegen startete ich etwas waidwund und wackelig in mein letztes Semester, und als ob die persönliche Schwere nicht schon anstrengend genug gewesen wäre, gelang mir in diesem Halbjahr auch akademisch erst mal gar nichts. Das Thema, was ich mir schon im vierten Semester für meine BA-Arbeit ausgesucht hatte, entpuppte sich beim ersten ernsthaften Bearbeiten als totaler Quatsch. Was ich daraus gelernt habe: Bevor ich mein Master-Thema einreiche, denke ich da nicht nur länger drüber nach, sondern suche auch schon nach Literatur, mache eine Gliederung und habe die Arbeit quasi schon geschrieben, bevor ich sie schreibe.

So fürchterlich das für mich als kleine Perfektionistin war, mich wieder und wieder an einer Arbeit scheitern zu sehen, so viel nehme ich aus diesem Scheitern für die nächsten vier Semester mit.

Erstens (der Satz stammt von meinem Prüfer und ich werde ihn nie vergessen): „Nehmen Sie sich EIN Objekt vor und nicht die ganze Kunstgeschichte.“

Zweitens: Stell dir eine Frage und keine Aufgabe, wie du es aus der Werbung gewohnt warst. Du sollst hier nix erfinden, du sollst eine wissenschaftliche Frage beantworten. Deswegen sollst du auch keine Datenbank konzipieren, sondern dich eher mit der Auswertung einer solchen beschäftigen. Oder mit dem Arbeitsmittel „Architektonische Datenbanken seit 2005“. Oder schreib von mir aus ein Essay, das alle Datenbanken zu Teufelswerk erklärt und dass wir nie von den Bäumen hätten runterkommen dürfen. Aber kümmere dich um Ergebnisse, nicht um die Produktion eines neuen Werkzeugs. Das sollen mal schön die Informatiker_innen machen.

Drittens: Wenn du nur lange genug in der Bibliothek sitzt und liest, wird alles wieder gut. Wein, gute Freunde und das Internet helfen auch. Aber die Bibliothek ist dein happy place.

Ich habe gelernt, dass es eine weise Entscheidung war, im fünften Semester so rangeklotzt zu haben, um fast alle Pflichtkurse zu erledigen. Ich hatte in diesem Semester nur eine Übung (Montag morgen) und das Kolloquium für Examenskandidaten plus einen freiwilligen Französischkurs (beide Donnerstags), so dass ich den ganzen Rest der Woche folgendermaßen gestalten konnte: um 8 aufstehen, um Punkt 10 hibbelig vor dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte aufschlagen, ab 10.05 Uhr lesen – so lange ich wollte, denn ich hatte ja sonst nichts mehr zu tun. Mein einziges Referat habe ich in die letzte Vorlesungswoche gelegt, in der auch die Französischklausur stattfand, und dafür musste ich erst arbeiten, als die BA-Arbeit schon abgegeben war. Dass die so ein Brocken war, konnte ich nicht ahnen, aber wie oben beschrieben: Ich habe viel aus ihr bzw. dem Prozess ihrer Erstellung gelernt. (Vor allem Demut.)

Ich habe gelernt, wie spannend es ist, anderen bei ihren Projekten zuzuschauen. Im Kolloquium stellten wir reihum unsere Arbeiten vor, und das waren nicht nur die Bachelors, sondern auch die angehenden Master, Magister und Doktor_innen. Ich mochte den Querschnitt an Interessen, den ich vorgetanzt bekam, auch wenn er natürlich gefiltert war, weil mein Prüfer sich auf Architektur und bayerische Kunstgeschichte spezialisiert hat. Da waren Arbeiten über einige Gebäude in Lemberg und Madrid (Atocha), über ein polnisches Stadtvierteil und seine Häuserentwicklung, über das Werk Erich Mendelsohns in Jerusalem und das von Adolf Voll in Fürstenfeldbruck. Eine Doktorandin besprach die Richtung ihrer Arbeit (das Thema verschweige ich mal lieber, ist ja nicht meins), was ich besonders lehrreich fand: zu sehen, dass man sich einem Stoff aus verschiedenen Richtungen nähern kann und vor allem aus welchen. Erstellt man schlicht einen Werkkatalog, weil er noch nicht existiert? (Nett, aber langweilig.) Oder setzt man das zu untersuchende Werk in einen Bezug zu anderen aus dieser Zeit? (Netter.) Oder geht man das ganze sozialwissenschaftlich an, indem man guckt, wer sich diese Werke außer dem Fürstenhof noch geleistet hat, wohin sie verkauft wurden und was dann aus ihnen wurde? Waren sie repräsentativ, eine Wertanlage, ein Zeichen von Status oder einfach nur Deko? (Da soll’s jetzt hingehen.)

Die Diskussionen um die Erarbeitung der Themen war für mich meist spannender als das Thema selbst. Und auch wenn ich mein Referat großflächig verkackt habe (immerhin mein einziger Referats-Reinfall im BA), hat mir die Kritik daran doch schlussendlich nach zwei Fehlversuchen den Weg zur Arbeit gezeigt.

Ich habe gelernt, dass ich eine BA-Arbeit in deutlich weniger als zehn Wochen schreiben kann, wenn ich muss. Ich hoffe, dass die Note noch erträglich wird. Meine Lieblingsnote wird’s nicht, das ahne ich jetzt schon, aber ich hoffe, die Arbeit ist in den Augen des Prüfers so ordentlich wie ich sie haben wollte.

Ich habe gelernt, wie sich richtig guter Sprachunterricht anfühlt.

Ich habe gelernt, dass sich das fünfsemestrige Warten auf die Nutzung des Zentralinstituts für Kunstgeschichte aber so was von gelohnt hat.

Als ich mit dem Studium anfing, durfte man erst ins ZI, wenn man ein Forschungsprojekt vorweisen konnte. Man kam zwar in das Gebäude rein, auch als Touri, um sich die lustigen Abgüsse von antiken Statuen anzugucken, aber in die Bibliothek durften wir als LMU-Studis erst ab dem Semester, in dem wir unsere BA-Arbeit schrieben. Vorher waren wir anscheinend unwürdig oder sollten mit unseren Brei-und-Knete-Kleinkind-Fingern die schönen Bücher nicht angrabschen. Seit Anfang 2015 gilt diese fiese Regelung nicht mehr, jetzt dürfen wir ab dem ersten Semester rein, und ich kann nur allen Erstis raten: Macht das. Es ist das Paradies für Kunsthistoriker_innen.

Wo ich vorher von Bibliothek zu Bibliothek radeln und tagelang auf Bücher warten musste, setze ich mich hier in den (allerdings relativ kleinen und unklimatisierten) Lesesaal, klappe meinen Rechner auf, suche im hauseigenen Katalog nach Literatur – und fahre dann mit dem schnellsten Fahrstuhl Münchens durch fünf Stockwerke voller Schätze. Es gibt nichts, was hier nicht steht. Ich habe noch jede obskure Zeitschrift gefunden, von der ich vor der Sucheingabe nicht mal wusste, dass sie existiert. Hier wird alles gesammelt, was irgendwie mit Kunst zu tun hat, und es steht direkt vor meiner Nase. Man kann sich einen kleinen Handapparat anlegen, die Mitarbeiter_innen sind freundlich und hilfsbereit, und ich möchte da wohnen. In den ersten fünf Semestern haben mich schon alle Uni-Bibliotheken und die Stabi zu einem Fan dieser Einrichtung werden lassen, aber das ZI war in diesem für mich auf allen Ebenen sehr herausfordernden sechsten Semester meine kleine, stille Rettungsinsel.

Ich habe gelernt, dass die Ahnung aus dem fünften Semester („Ich glaube, ich bleibe bei Architektur und digitaler Kunstgeschichte“) die richtige war. Momentan klackert auch die NS-Zeit im Hinterkopf rum – was daran liegen könnte, dass ich sie in München dauernd vor der Nase habe –, aber ob das mein Fokus im Master wird, weiß ich noch nicht. Jedenfalls habe ich mich um einen Master-Studienplatz beworben und gucke mal, ob mich München oder Hamburg weiterlernen lassen. (Ich hoffe natürlich auf München.)

Ich habe gelernt, dass ich ein Netzwerk brauche. In den ersten Semestern habe ich mich blöderweise nicht wirklich um Kontakte bemüht – da war der grandiose Plan ja noch, hier bindungslos drei Jahre zu studieren und dann schön wieder ins Beziehungs- und Werbehamburg zurückzukehren. Der Plan war schon etwas länger wackelig und jetzt ist er durch, und ich habe in der Zeit, in der ich orientierungslos mit der BA-Arbeit kämpfte, sehr einen Sparringspartner vermisst, mit dem ich über Kunstgeschichte hätte reden können. Also nicht nur aus einer interessierten Perspektive, sondern aus einer akademischen. Daher habe ich wenigstens zum Schluss dieses Semesters versucht, ein bisschen aus meinem selbstgewählten Schneckenhaus rauszukommen, habe mir endlich mal ein paar Namen meiner Kommilitoninnen gemerkt und bin brav mitgegangen, wenn es hieß, lasst uns nach dem Seminar doch noch ein Bier zusammen trinken, wo ich sonst immer geflüchtet bin. Das werde ich im Master noch mehr machen müssen, auch wenn es meinem Einzelkämpfertum eher widerstrebt.

Ich habe (mal wieder) gelernt, dass mich Lernen beflügelt, befreit, erhebt und glücklich macht. Es trocknet sogar Tränchen, weil man nicht lesen kann, wenn man heult.

Ich habe gelernt, dass die Entscheidung für das Studium die richtige war, auch wenn sie mich eine Beziehung gekostet hat. Ich will nicht mehr die Art von Werbung machen, wie ich sie gemacht habe, ich will nicht weiter irgendwie zufrieden irgendwo einfach nur sein, sondern ich will mich herausfordern und wachsen.

Und ich habe gelernt, dass aus einem guten Freund plötzlich mehr werden kann. Das ist aber alles noch so frisch, dass der Herr noch nicht mal einen Namen fürs Blog hat.

In diesem Zusammenhang: Wenn sich die Hamburger Damenwelt bitte irgendwann um den Kerl kümmern könnte? Ich kann den unbedingt weiterempfehlen. Wenn man sich durch seine knorrige Schale gearbeitet hat, ist er sehr flauschig, bringt einen immer zum Lachen und trägt freiwillig Koffer und Einkaufstüten die Treppe hoch.

Learning by doing

Die letzten acht Wochen habe ich quasi am Schreibtisch gelebt. Neben mir meine Teekanne, anfangs mit Assam, dann mit Ostfriesentee, neuerdings mit Earl Grey darin, das Milchkännchen, meine japanische Teeschale. (Irgendwann werde ich grünen Tee mögen, aber jetzt gerade findet in der Schale halt ein kleiner culture clash statt. Sie scheint nichts dagegen zu haben.) Eine Vase mit Blumen links von mir. Direkt vor mir mein MacBook Air. Und auf dem kompletten Rest des Tisches: Bücher, Bücher, Bücher, Stifte, Textmarker und Post-its in verschiedenen Farben, mein Moleskine, in das ich während der Vorlesungen und Seminare schreibe, Karteikarten, auf die ich das Geschriebene verkürzt bzw. sortiert übertrage und mit denen ich lerne, noch mehr Bücher, noch mehr Karteikarten. Ende Januar habe ich sieben Klausuren geschrieben, im Januar selbst meine erste Hausarbeit, während ich noch Uni hatte, im Februar und bis gestern in der vorlesungsfreien Zeit zwei weitere Hausarbeiten. Der Abgabetermin ist der 5. bzw. für zwei Arbeiten der 15. März, aber ich bin jetzt mit allem durch und packe gerade den Koffer für Hamburg. Nach acht Wochen habe ich zum ersten Mal Zeit, richtig Luft zu holen und zu gucken, wie es mir geht.

Mir geht es hervorragend.

Die Wochen vor den Klausuren waren sehr anstrengend, aber gleichzeitig fand ich es großartig zu merken, wie ich inzwischen akademisch arbeite. Allmählich ist ein Rhythmus da, allmählich kommt eine gewisse Routine, was den Ablauf von Lernen und Hausarbeitenschreiben angeht. Und nach fünf Semestern kommen auch im Minutentakt die Querverbindungen, die mich von Anfang an so fasziniert haben, dieses „Hey, davon habe ich in Kunstgeschichte schon gehört“, wenn in Geschichte ein Thema aufpoppt und umgekehrt. Allmählich wird aus den vielen Einzelteilen, die ich hier vorgesetzt bekomme, ein Ganzes. Oder wenigstens ein Teil eines Ganzen, den ich überblicken und an den ich einen anderen Teil anlegen kann. Allmählich öffnet sich vor mir die, Achtung, jetzt wird’s pathetisch, aber ich habe sehr viel Tee intus, ganze klare Schönheit von Geschichte und Kunst, von den Verknüpfungen, die sie miteinander und durcheinander entwickeln und denen ich jetzt nachspüren darf. Bei jedem Buch, das ich jetzt lese oder überfliege, bleibt irgendwas hängen, weil inzwischen ein Raster da ist, in dem etwas hängenbleiben kann. Bei jedem neuen Thema ist ein winziger Referenzpunkt da, auf den ich zurückgreifen kann und der mich weiterträgt. In jeder Kirche habe ich andere Kirchen vor Augen, bei jedem Bild, das ich anschaue, tauchen andere auf. Ich sehe Mode anders an, Theaterkostüme, Werbeplakate. Ich schaue teilweise nicht mehr inhaltlich, sondern nach Struktur, Farbe, Aufbau, Bedeutungen, Referenzen, Möglichkeiten, das Gesehene einzuordnen, in mein Raster zu packen, es im Kopf zu behalten, weil ich weiß, dass ich es noch mal brauchen werde. Um mich herum ist auf einmal so viel Schönheit, die ich vorher nicht gesehen habe, weil ich anders auf meine Welt geschaut habe. Und auf meinem Nachtisch stapeln sich Bücher, die ich vor zwei Jahren nicht mal in die Hand genommen hätte.

Mich schrecken wissenschaftliche Texte nicht mehr, sie fordern mich heraus. Und wenn ich einem erliege, greife ich zu einem anderen, den ich erobern kann. Irgendeiner wird mir schon sagen, was ich wissen will, denn ich will so viel mehr wissen als noch vor zweieinhalb Jahren im ersten Semester. Mit jedem Einzelteil, das ich einordne, merke ich, wieviele noch fehlen, und wenn ich genug Tee trinke (und meine neu eingestellte Medikation so gut weiterfunktioniert wie jetzt gerade), werde ich sie alle aufsammeln.

Ich werde weiter Bücher lesen, Texte schreiben, Karteikarten beschriften, Moleskines nachkaufen. Ich will noch nicht, dass das aufhört, was mir in den letzten acht Wochen so unglaublich viel Freude bereitet hat und mir eine ungeheure Befriedigung und einen tiefen Frieden verschafft hat. Zu wissen, ich stehe morgens auf, um nichts anderes zu tun als zu lesen, zu schreiben und zu lernen, davon zu profitieren, was andere vor mir gelesen, geschrieben und gelernt haben, hat mich so glücklich gemacht wie selten etwas anderes. Es ist ein anderes High als Fußballjubel oder Opernglück oder bei Sonnenuntergang auf die Elbe oder die Isar zu gucken oder im Arm des Lieblingsmenschen einzuschlafen. Es ist ein High, das ganz alleine aus mir kommt. Ich alleine sitze hier und lese und schreibe und lerne. Ich alleine gehe in die Bibliothek und fussele wahrscheinlich viel zu lange an Fußnoten rum oder an der richtigen Formulierung für die Kapitelüberschriften der Hausarbeit. Ich alleine mache das. Ich kann das. Und ich will das. Ich will das so sehr, dass ich darüber Treffen mit Freunden vergesse oder Wein nachzukaufen oder mal wieder in die Arena zu gehen. Ich will hier nur sitzen und lesen und schreiben und Tee trinken. Ich habe noch keine Noten für meine drei Arbeiten (ich habe auch erst zwei abgegeben), aber selbst wenn das keine Einsnullen werden, auf die ich natürlich hoffe, weiß ich, dass ich alles dafür getan habe, dass es Einsnullen werden könnten. Ich habe über Fußnoten und Kapitelüberschriften nachgedacht, weil ich das gerne tue und nicht, weil ich es muss. Und so richtig klar ist mir das erst in den letzten Wochen geworden, als ich merkte, wie wenig ich vermisse, wenn ich am Schreibtisch sitze, neben mir die Teekanne und die Blumen. Ja, es wäre perfekt, wenn der Lieblingsmensch und ich in einer Stadt wären, aber was ist schon perfekt. Und dieser Schreibtisch hier mit dem MacBook und den Büchern darauf – das ist schon verdammt nah dran.

„Und, Anke, wie war so dein fünftes Semester?“

Anstrengend. Kthxbai.

(Erstes, zweites, drittes, viertes Semester)

In diesem Semester kamen mehrere Dinge zusammen, die es etwas herausfordernd gemacht haben. Zum einen meine (seelische) Gesundheit, die gerade im Oktober und November eher memmig drauf war, was es mir teilweise schwer, teilweise unmöglich gemacht hat, morgens aus dem Bett zu kommen. Dadurch versäumte ich einige Vorlesungen und Seminare, was mich übermäßig hysterisch hat werden lassen, als es um Referate ging, die zum ersten Mal nicht alle unterhaltsam waren, sondern Arbeit. Natürlich waren sie immer noch toller als vieles, was ich vor dem Studium gemacht habe, aber im Vergleich zu den ersten Semestern waren sie Arbeit. Also diese Form von „Augen zu und durch“-Arbeit, die ich so verabscheue, weil ich gerade im Studium, das immer noch eine Art Sabbatical vom echten Leben ist, meinen Kram eben nicht wegarbeiten will, sondern bewusst und freudig was dabei lernen möchte. Das klappt fast immer, aber dieses Mal nicht so ganz.

Zusätzlich habe ich mir selbst genau den Druck gemacht, über den ich immer mütterlich lächele, wenn meine 20-jährigen Kommilitoninnen über ihn reden. Während sie glauben, dass ihr Leben vorbei ist, wenn sie jetzt nicht dieses Praktikum in Paraguay kriegen, kann ich nachts nicht schlafen, weil ich glaube, keinen Master-Studienplatz zu bekommen, wenn mein Schnitt nicht noch besser als 1,2 wird. Da ist er im Moment, wenn ich richtig rechne. Weiß ich aber nicht genau, weswegen ich noch mal extra schlecht schlafe.

An einer weiteren Sache knabbere ich auch rum, aber das ist mehr so anstrengend auf der Meta-Ebene: Ich vermisse mein Expertinnenwissen, das ich in der Werbung hatte und das in Kunstgeschichte auch nach fünf Semestern gefühlt eher rudimentär vorhanden ist. Meine Dozierenden sind meist in meinem Alter oder drüber, und gerade bei den Gleichaltrigen (oder sogar Jüngeren) fällt es mir jetzt, nach zweieinhalb Jahren, allmählich schwer, immer die doofe Studentin zu sein. Ich vermisse die Gespräche auf Augenhöhe, die ich in der Werbung hatte. Es liegt nicht unbedingt am Alter – in der Agentur habe ich Textinchen mir auch von Grafik-Praktis was sagen lassen, weil ich von ihrem Job null Ahnung habe. Es liegt einfach daran, dass es mich allmählich mürbe macht, auch an der Uni null Ahnung zu haben. In den ersten Semestern war das funky und aufregend, so dumm durch die Gegend zu spazieren, aber jetzt, warum auch immer, zehrt es gerade an mir. Ich merke zwar, wenn ich mit Freunden oder Freundinnen über mein Studium oder Kunst spreche, wieviel ich schon gelernt habe, aber sobald meine Dozierenden vor mir stehen, relativiert sich das außerordentlich schnell. Natürlich weiß ich, dass die sich seit 20 Jahren mit Kunst befassen und ich gefühlt seit 20 Minuten, aber dass ich mir das dauernd sagen muss, nervt.

Dann war dieses Semester auch das, in dem der Kerl und ich unsere inzwischen elfjährige Beziehung mal ausdiskutiert haben. Wir sind beide sehr gut darin, unangenehme Themen unter den Teppich zu kehren oder mit Käse zu überbacken, und so schleichen wir seit zwei Jahren um das Thema rum, dass ich quasi in München wohne und nur noch zu Besuch in Hamburg bin und dass wir das beide gerade nicht ändern können oder wollen. Also habe ich die Weihnachtsferien mit weniger Lernen zugebracht als geplant und dafür mit viel mehr Reden, was aber gut war, denn ich bin jetzt wieder deutlich zuversichtlicher, dass wir das hinkriegen. Aber es ist doch alles komplizierter, als ich dachte, und es wird nicht einfacher, je länger wir in verschiedenen Städten wohnen.

Durch das viele Reden und das wenige Lernen bin ich etwas in Zeitnot geraten und habe dementsprechend fast den kompletten Januar als Eremit am Rechner zwischen Büchern und meiner Teekanne verbracht. Die einzige Abwechslung zum Lernen und dem Verfassen der ersten Hausarbeit war zur Uni zu gehen, in die Bibliothek zu gehen oder einzukaufen. Ein Konzert und einen Vortrag habe ich mir gegönnt, aber sonst war ich vom 5. bis zum 28. Januar eine totale Musterstudentin, die jetzt gerade kaum noch weiß, wie Menschen aussehen, die nichts mit Geschichte oder Kunstgeschichte zu tun haben. Deswegen freue ich mich sehr auf den morgigen tpmuc, bevor ich bis Dienstag nochmal für die letzten Klausur abtauche.

Und das alles (Kränkeln plus Hysterie plus Schlafstörungen plus Metastress) kommt natürlich genau in dem Semester, in dem ich am meisten zu tun habe, weil ich ja fünf Semester Geschichte in drei quetsche, um im nächsten Semester total entspannt meine Bachelorarbeit schreiben zu können, ohne nebenbei noch Seminare abarbeiten zu müssen.

Aber natürlich war das Semester genauso toll wie es anstrengend war und ich habe wie immer viel gelernt.

Ich habe gelernt, dass Blockseminare überhaupt nichts für mich sind. Das mag ja für einige Studis prima sein, in nur vier Tagen ein ganzes Semester runterzureißen, aber genau das fand ich blöd. Ich mag den Wochenrhythmus, ich mag meine festen Termine, und ich mag es, dass der Stoff Zeit hat, sich sieben Tage lang in meinem Hirn festzusetzen. In den vier Tagen des Blockseminars in Geschichte – zweimal im November, zweimal im Januar – wusste ich abends schon nicht mehr, was ich morgens gelernt hatte, weil es einfach zu viel Stoff in zu kurzer Zeit war. Das Thema „Die Stadt im Mittelalter“ war großartig, aber ich habe leider längst nicht so viel mitgenommen wie ich gehofft hatte.

Das zog sich auch durch meine Referatsvorbereitung. Normalerweise kriegt man ja in den ersten zwei, drei Sitzungen ein Gefühl dafür, wo die Reise hingeht, was der Fokus des Kurses ist, worauf man bei den Referaten vielleicht den Schwerpunkt legen sollte, um am besten ins Gesamtbild zu passen. Das fehlte hier alles. Mein Referat war gleich am ersten Blocktag im November; das hatte ich bewusst so gelegt, weil ich auf keinen Fall im Januar noch ein Referat halten wollte, wo ich schon im Klausurenlernmodus bin. So hatte ich zum ersten Mal die Situation, über ein Thema zu sprechen, das für mich noch nirgends eingeordnet war. Wir mussten zwar alle vorher zum Dozenten und ihm unsere Struktur vorstellen sowie das Handout, und das war auch sehr hilfreich, aber trotzdem war alles schwammiger als mir lieb war. Ich bin bis heute nicht zufrieden mit dem Referat, obwohl der Dozent es war, und mir graut ein bisschen vor der Hausarbeit, weil mir schlicht keine spannende Frage einfällt. Mein Thema ist „Altstadt, Neustadt, Vorstadt“ und eigentlich habe ich nur 20 Minuten lang erzählt, dass es keine einheitliche Altstadt, Neustadt oder Vorstadt im Mittelalter gab. Ich suche immer noch nach einem roten Faden, der über diesen totalen Allgemeinplatz hinausgeht, aber noch habe ich ihn nicht gefunden.

Wobei ich in einer anderen Vorlesung mal wieder hübsche Bezüge herstellen konnte. In „Architektur des Mittelalters“ in Kunstgeschichte haben wir über verschiedene Gebäudetypen und ihre Funktion gesprochen, unter anderem die Stadtwaage, den Salzstadel usw. Von anderen Gebäuden wusste ich inzwischen, dass sie nur in der Vorstadt anzutreffen waren, also (sehr verallgemeinert) dem Gebiet, das außerhalb der Stadtmauer lag. Zum Beispiel lagen Schmieden immer vor den Toren wegen der Feuergefahr. Mühlen (Getreide, Papier etc.) waren an Flüssen, die sie betrieben, und lagen damit ebenfalls vor der Stadt. Deswegen hatte ich kurz überlegt, daraus was zu machen, so in die Richtung „Wie Architektur die Stadt gestaltet“, aber auch hier bin ich nicht wirklich auf den Punkt gekommen. Meh. Zur Wiedervorlage.

Ich habe gelernt, dass es Stadtwaagen und Salzstadel gab.

Ich habe gelernt, dass ich Architektur wirklich spannender finde als Bilder und Skulpturen. Ich gucke mir die letzten beiden sehr gerne an und plaudere noch lieber darüber, aber forschen möchte ich, behaupte ich nach fünf Semestern jetzt mal so halbzart, über Gebäude. Das müssen nicht mal meine geliebten gotischen Kathedralen sein – gerade in diesem Semester ist mir das Alltagsleben im Mittelalter sehr nahe gekommen, und da würde ich gerne noch ein bisschen bleiben. Wobei ein Dozent meinte, er habe früher auch Mittelalter gemacht und sei jetzt eher in der frühen Neuzeit unterwegs, weil da die Quellenlage schlicht besser sei; da könne man richtig forschen, während man im Mittelalter manchmal einfach nur mutmaßen kann. Das klackert zwar jetzt in meinem Kopf rum, aber eine Konsequenz habe ich daraus noch nicht gezogen.

Ich habe gelernt, dass ich mich auf mein Kolloquium richtig freuen kann, das die Bachelorarbeit begleitet. Laut unserer Prüfungsordnung müssen wir keine Disputatio halten, sondern in einem Kolloquium, an dem alle BA-Kandidat*innen des Dozenten teilnehmen, unser Projekt vorstellen. Mein Prüfer lud mich schon in diesem Semester zu seinem Kolloquium ein –„davon können Sie nur profitieren“ –, allerdings erst im Januar, was ich sehr bedauert habe. Denn dort sitzen lauter Menschen mit ganz unterschiedlichen Themen und Interessen und man bekommt von ihnen ihren derzeitigen Arbeitsstand vorgebetet. Das heißt, man bleibt nicht im engen thematischen Rahmen eines Seminars, sondern man hört bunt durcheinander was über Bilder, Künstler*innen, Skulpturen oder, wie in meinem Fall, über eine Datenbank. Und wenn niemand ein Referat hält, sprechen wir über Ausstellungen, die eine_r von uns gesehen hat oder plaudern generell kunsthistorisch in der Gegend rum. Ein Traum! Wie ein Lesezirkel, nur mit Kunst! Das hat mir in diesem Semester sehr gut gefallen und ich freue mich schon aufs nächste.

Ich habe gelernt, dass ich nicht Superwoman bin. (Verdammt!) Meine Stofffülle hat dazu geführt, dass ich einen Kurs nach wenigen Malen verlassen habe (den brauchte ich auch nicht für meine ECTS-Punkte) und eine weitere Vorlesung seeeehr habe schleifen lassen. Ich habe zwar brav für die Klausur gelernt, die ich gestern geschrieben habe, und es könnte sogar knapp gereicht haben, aber eigentlich habe ich mich schon damit abgefunden, im letzten Semester noch mal eine Vorlesung zu Neuer Geschichte zu belegen. Was auch völlig okay ist.

Ich habe gelernt, dass es Dozenten gibt, die in jeder Vorlesung alles umräumen, was bisher in meinem Kopf an „Wissen“ über Kunst in Deutschland zwischen 1925 und 1960 vorherrschte. Ich bin aus jeder dieser Veranstaltungen mit offenem Mund rausgekommen und musste erstmal viel lesen. Dafür verzeihe ich dem Herrn auch seine verbesserungswürdigen Folien. (Falls ich durch die Klausur falle, widerrufe ich diesen Satz.)

Ich habe gelernt, dass ich ungern während des laufenden Semesters eine Hausarbeit schreibe. Das war dieses Mal leider unvermeidlich – siehe oben, viel Zeug in kurzer Zeit –, und die Arbeit machte auch richtig Spaß, aber ich habe zu jedem Zeitpunkt im Hinterkopf gehabt, dass ich diesen Gedanken jetzt eh nicht komplett ausformulieren kann, weil ich noch was lesen muss für morgen oder was vorbereiten oder für die Klausuren lernen. Bisher hatte ich den Luxus, nur in der vorlesungsfreien Zeit schreiben zu können, wo mich nichts und niemand in meinem Fluss gestört hat. Hier musste ich dauernd was anderes machen, und das kann ich noch nicht so gut wie ich es in der Werbung konnte, wo ja auch dauernd was TOTAL EILIGES, ECHT JETZT auf deinem Schreibtisch landet. Ich habe mir zum ersten Mal in fünf Semestern eine To-Do-Liste geschrieben, um den Überblick nicht zu verlieren, und das fühlte sich ein bisschen so an, als wäre ich alt. Ähem.

Ich habe gelernt, dass die digitale Kunstgeschichte echt heißer Scheiß ist. Das wusste ich zwar eigentlich schon vorher, sonst wäre ich ja nicht auf die Idee gekommen, meine Bachelorarbeit zu diesem Thema zu schreiben, aber das wurde mir in diesem Semester noch mal bestätigt. Ich mag es, dass mein Fach sich auf einmal mit heutigen Dingen beschäftigt, die noch gar keine Geschichte sind. Ich mag es, dass wir auf einmal durch digitale Methoden Daten generieren können, die exakt sind und nicht das übliche wolkige Rumgemeine, was wir so gut drauf haben. Ich mag es, dass mein Fach sich gerade um mich herum verändert und, noch toller, dass ich die Chance habe, es aktiv mitzugestalten. Wer hätte gedacht, dass sowas Altbackenes wie Kunstgeschichte so modern sein kann.

Ich habe gelernt, dass dieses Studium trotz der ganzen Nerverei, die es in diesem Semester war, eines der besten Dinge ist, die ich in den letzten Jahren angefangen habe. Mich macht jedes Seminar und jede Vorlesung glücklich und neugierig und hibbelig auf mehr, mehr, mehr. Der Master ist fest eingeplant. Und der Kerl kommt jetzt einfach viel öfter nach München als in den ersten vier Semestern. Alles wird gut, und alles bleibt spannend.

„Und, Anke, wie war so dein viertes Semester?“

(Erstes, zweites, drittes Semester)

Ich hatte mir vom Studium erhofft, dass ich nach sechs Semestern mit einem Diplom in der Hand da stehe und sagen kann: „Jetzt weiß ich alles.“ Inzwischen habe ich gelernt, dass ich nichts weiß, und je länger ich an der Uni bin, desto stärker wird dieses Gefühl. In jedem neuen Kurs habe ich plötzlich Dinge, Orte, Zeitläufte, Kunstwerke, Personen und ihre Aktionen vor der Nase, von denen ich noch nie gehört hatte, und meine Allgemeinbildung, die ich immer für eine recht gute gehalten habe, winkt hilflos aus der Ecke und zuckt die Schultern. Je mehr ich lerne, desto mehr merke ich, was ich noch alles lernen muss. Aber: Was ich im ersten Moment als einschüchternd empfand, entpuppt sich langsam als eine wunderschöne Lebensaufgabe. Ich weiß nichts – aber ich kann noch so viel lernen. Allerdings nicht in sechs Semestern.

Ich habe gelernt, dass ich manchmal etwas vorschnell in meinen nöligen Urteilen bin. (Was mich leider nicht davon abhält, sie trotzdem zu fällen.) Ich quengelte am Anfang des Semesters über den Dozenten, bei dem ich schon mal eine Vorlesung hatte, die ich als seeehr zääääh empfunden hatte und schob das auf seine Sprechweise. Die hat sich nicht geändert – aber mein Wissensstand. Inzwischen weiß ich nämlich, dass der Herr einfach sehr genau auf jedes Kunstwerk eingeht, jeden Schwung einer Initiale beschreibt, jede Fingerhaltung einer Majestas Domini im Vergleich zu einer anderen, jede Dekoration, die sich am Rand einer alten Buchseite befindet, jeden Ziegel, jedes Kapitell, jedes alles. Was ich im ersten Semester als Neu-Studi als zäh empfunden habe, empfinde ich jetzt als hingebungsvoll und exakt und es ergänzt mein bisheriges Wissen um eine Ebene, die es bisher nicht hatte und im ersten Semester nicht haben konnte. Ich habe innerlich reuig Abbitte geleistet und in der Evaluation eine Lobeshymne verfasst – auch um mein Gemecker aus dem ersten Semester wieder gutzumachen.

Ich habe gelernt, auf Twitter vielleicht mal die Klappe zu halten. Nach meiner spannenden Geschichtsübung zu Ludwig dem Bayern tönte ich rum, dass ich mit meinem bisherigen Wissen locker Leute eine Stunde rund um den Marienplatz führen könne – was drei Damen beim Wort genommen haben. Und so musste ich mir an einem ansonsten freien Wochenende eine kleine Tour zusammenbasteln und zeigte dann Frau Kaltmamsell und Frau Donnerhallen „mein“ München (Frau Mellcolm war leider erkrankt). Wir begannen am Isartor, wo ich über die zweite Stadtmauer Münchens sprechen konnte, zu der das Tor gehört, ich erwähnte die Fresken aus dem 19. Jahrhundert, die kunsthistorisch leider nix hergeben, aber – wenn Sie vorbeikommen, achten Sie mal drauf: Am linken Rand sieht man die MünchnerInnen noch hektisch das Stadttor schmücken, damit Ludwig als Sieger der Schlacht von Mühldorf einreiten kann. Wo wir schon im 19. Jahrhundert waren, konnte ich generell über Ludwig I. sprechen und seine Architekten von Klenze und von Gärtner, die für meine Lieblingsplätze in München verantwortlich sind.

Dann gingen wir zum Alten Rathaus, wo neben Ludwig noch Heinrich der Löwe als Statue zu sehen ist, bei dem ich auf meiner niedersächsischen Herkunft rumreiten konnte und den Damen die Welfen näherbrachte. (Und die Welfenspeise.) Am Alten Hof sprach ich über das Reisekönigtum und dass der Alte Hof eine der ersten festen Residenzen war, auf dem Marienplatz erwähnte ich, dass Ludwig dafür gesorgt hatte, dass der Platz heute noch so weiträumig ist wie damals vor 700 Jahren, denn er verfügte, dass er nicht bebaut werden solle, woran sich lustigerweise alle bis heute halten. Außerdem konnte ich über die Stadtfarben Münchens sprechen (schwarz und gold), die nur deswegen so aussehen, weil Ludwig Rom ärgern wollte, dessen Stadtfarben ebenfalls schwarz und gold waren.

Zum Abschluss wollten wir in die Frauenkirche, in der Ludwig bestattet liegt, aber ich Hirn hatte nicht daran gedacht, dass Kirchen irgendwann ihre Tore schließen. So standen wir auf den Stufen vor dem Eingang und ich zeigte mein liebstes Kunstwerk in der Kirche, den Schmerzensmann links vom Altar, stattdessen auf meinem iPhone rum, erklärte den Unterschied zwischen Schmerzensmännern und Ecce-Homo-Darstellungen und erläuterte Hallen– und Saalkirchen, Zentralbauten und Basiliken. Mir hat die Tour sehr viel Spaß gemacht und ich hoffe, die Damen hatten auch was davon. Und meine Dozentin, der ich davon erzählte, amüsierte sich ebenfalls.

Die Stadtführung war leider fast meine einzige extrakurrikulare Aktivität. In diesem Semester habe ich nur einen Vortrag besucht und nur einen einzigen Tag zum Spaß in der Kugi-Bib gesessen. Ansonsten war ich stets mit Zeug beschäftigt, für das es Noten bzw. ECTS-Punkte gab. Ich schiebe es ein wenig auf die WM und das Filmfest, aber das hat mir mittendrin des Öfteren gefehlt, dieses ziellose Rumblättern in Regalmetern oder das Kennenlernen von Sichtweisen außerhalb meines Stundenplans. Ein Vorsatz fürs Wintersemester wäre natürlich, das wieder in den Zeitplan einzubauen, aber das Semester wird leider noch arbeitsintensiver als das vergangene, denn es ist quasi mein letztes Semester, in dem ich noch Kurse und Vorlesungen besuche – im sechsten sollte eigentlich nur noch die Bachelorarbeit anstehen. Mal sehen, ob ich das schaffe, denn statt fünf Semestern Geschichte habe ich ja nur drei, in die ich die Pflichtkurse von fünf quetschen muss. Wobei die Kurse nicht das Problem sind, sondern die Hausarbeiten, für die ich in den Winterferien lausige acht Wochen Zeit haben werde. Und vier Hausarbeiten zu jeweils 30.000 Zeichen in acht Wochen – das wird selbst für mich Schnellschreiberin sehr eng.

Ich habe gelernt, dass in der Heraldik das Winterfell eines sibirischen Eichhörnchens eine Rolle spielt, dass es in Bayern diverse Klöster gibt, die noch viel zu wenig erforscht sind, dass die Fotografie nicht meine liebste Kunstgattung ist oder sein wird (immerhin eine, die ich von der Liste streichen kann), dass ich, wenn ich mich etwas anstrenge, mittelhochdeutsche Urkunden lesen und verstehen kann und dass überhaupt das Mittelalter eine sehr spannende Zeit ist. So spannend, dass ich dringend mehr über sie wissen will – und voraussichtlich auch meine Bachelorarbeit über sie schreiben möchte.

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Ich habe gelernt, meine Prüfungsordnung besser zu lesen. Nach vier Semestern habe ich es zum ersten Mal geschafft, einen falschen Kurs zu belegen. Okay, ganz falsch war er nicht, aber er bringt mir keine Punkte. So habe ich mich viele Dienstage lang um 6 Uhr aus dem Bett gequält, um um 8 Uhr (s. t.) am Gasteig zu sitzen und italienische Vokabeln und Grammatik zu pauken. Italienisch ist eine sehr schöne Sprache, aber jetzt, wo ich weiß, dass ich sie nicht lernen muss, werde ich das auch nicht weiter tun. Scusi. Aber danke dafür, dass ich meine Opernarien im Gesangsunterricht ein winziges bisschen besser verstehen und aussprechen kann.

Ich habe gelernt, dass ich im wissenschaftlichen Arbeiten inzwischen einen ähnlichen Anspruch an mich habe wie in meinem Brotberuf (der hoffentlich nicht mehr allzulange mein Brotberuf ist). Dieser Anspruch hat dafür gesorgt, dass ich in allen Referaten in diesem Semester ausgezeichnete Noten bekommen habe und ich hoffe, dass das dieses Mal auch endlich bei den Hausarbeiten klappt, denn da war ich bisher nie besser als 1,3. (Knurr.)

Das Blöde ist, dass ich diesen Anspruch inzwischen auch an meine KommilitonInnen habe. Das heißt, mich nerven schlecht vorbereitete Referate mehr, als sie sollten. Mich nervt es, Handouts mit Rechtschreibfehlern zu bekommen oder Handouts über fünf Seiten (braucht kein Mensch) oder Handouts mit einer einzigen Literaturangabe (geht’s noch?) oder überhaupt kein Handout. Es sollte mir egal sein, ich kriege ja keine Note auf die Referate anderer Leute, aber da sie ein wichtiger Bestandteil der Kurse sind, würde ich mir wünschen, dass sie einen gewissen Standard hätten. Klar, das lernen wir alle noch, dafür sitzen wir ja hier, aber nach vier Semestern hoffe ich allmählich auf mehr.

Und ja, ich weiß, das hört sich scheiße-großkotzig an. Das kann und will ich nicht ändern.

Ich habe ein Word-Dokument angelegt, in dem ich Ideen für die Bachelorarbeit sammele.

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(Und eine Autokorrektur bei Tweets. #lasttweeTTTT)

Ich habe zum ersten Mal in einer Kunstgalerie gestanden und mit meinen Kommilitoninnen darüber gestritten, ob jetzt Cy Twombly oder Silvia Bächli „besser“ ist. Ich habe Beuys verteidigt, ich habe Barnett Newmann als Referenz herangezogen, ohne darüber nachzudenken, ich habe über die Romantik und Caspar David Friedrich diskutiert, ich habe in Ausstellungen im Kopf Verbindungen hergestellt, ohne es darauf anzulegen, ich sehe anders, ich spreche anders über Kunst, ich gucke sie anders an als vor vier Semestern. Ich hatte zum ersten Mal im meinem Studium das Gefühl, fundiert über Kunst sprechen zu können, und zwar in der Galerie zwischen lauter Bächlis. Das war ein sehr großartiger Moment und ich hoffe, er kommt noch mal wieder.

Ich habe gelernt, dass ich am liebsten irgendwo alleine inmitten eines Bergs von Büchern und Aufsätzen sitze und aus diesem Berg ein kleines, überschaubares Häufchen mache, das ich dann meinen KommilitonInnen und DozentInnen präsentiere. Mir machen Referate sehr viel Spaß und ich freue mich das ganze Semester über auf die Hausarbeiten, weil ich da endlich schreiben kann. Ja, natürlich mag ich auch die Seminare und Vorlesungen, aber so richtig, richtig gerne sitze ich eben zwischen Büchern und lese und schreibe. Gibt es dafür irgendeine Berufsbezeichnung, die ich anstreben kann?

In diesem Zusammenhang: Ich fühle mich beim Studieren nicht mehr wie 20, aber beim Nachdenken darüber, was nach dem Studium passiert. Na super. Ich dachte, das hätte ich alles längst hinter mir. Ganz toll gemacht, Gröner.

Und noch mal in diesem Zusammenhang: Wenn ich nicht innerhalb des nächsten Jahres eine weitere Sinnkrise kriege – also so eine wie die von vor drei Jahren, die dafür gesorgt hat, dass ich gerade den Bachelor mache –, dann mache ich ab WS 2015 den Master. Das macht alles viel zu Spaß, um jetzt schon damit aufzuhören.

Kunstgeschichte studieren/Selfies

How Art History Majors Power the U.S. Economy

Der Artikel ist schon etwas älter (2012), aber die Argumentation für das angeblich sinnlose, weil nicht-einträgliche Studium von Fächern wie Kunstgeschichte und Philosophie stimmt immer noch: Wenn alle nur noch BWL und Jura studieren, haben wir bald bergeweise arbeitslose BWlerInnen und JuristInnen. Deswegen sollte ruhig alle, die Lust dazu haben, Kunstgeschichte und Philosophie studieren. Das scheinen sowieso nicht allzu viele Menschen zu sein:

„According to the National Center for Education Statistics, humanities majors account for about 12 percent of recent graduates, and art history majors are so rare they’re lost in the noise. They account for less than 0.2 percent of working adults with college degrees, a number that is probably about right for recent graduates, too. Yet somehow art history has become the go-to example for people bemoaning the state of higher education.“ (…)

Contrary to what critics imagine, most Americans in fact go to college for what they believe to be “skill-based education.” A quarter of them study business, by far the most popular field, and 16 percent major in one of the so-called Stem (science, technology, engineering and math) fields. Throw in economics, and you have nearly half of all graduates studying the only subjects such contemptuous pundits recognize as respectable. (…)

The argument that public policy should herd students into Stem fields is as wrong-headed as the notion that industrial policy should drive investment into manufacturing or “green” industries. It’s just the old technocratic central planning impulse in a new guise. It misses the complexity and diversity of occupations in a modern economy, forgets the dispersed knowledge of aptitudes, preferences and job requirements that makes labor markets work, and ignores the profound uncertainty about what skills will be valuable not just next year but decades in the future.“

Im Artikel wird auch angesprochen, dass viele Studierende sich überlegen, was sie verdienen wollen, bevor sie sich für ein Studienfach entscheiden. Das klingt sinnvoll, aber wer sich nur daran orientiert, was später auf der Gehaltsabrechnung steht, hat wahrscheinlich deutlich weniger Spaß am Job als die Menschen, die zuerst ihren Neigungen folgen und dann der Kohle. In einem Text über Frauenbildung der letzten 200 Jahre bin ich über eine Stelle gestolpert, die immer noch in mir grummelt. Dort wurde aufgedröselt, welche Fächer eher von Männern und welche eher von Frauen belegt werden. Die Antwort: Männer studieren Fächer, die Prestige und ein höheres Einkommen erwarten lassen, Frauen das, auf das sie Lust haben. Was in den leidigen Diskussionen um die Gender Pay Gap ja immer gerne vorgebracht wird: Würden wir Mädels mal so was Sinnvolles wie Wirtschaftswissenschaften studieren anstatt französische Literatur, würden wir auch mehr Geld verdienen.

Wie wäre es, wenn wir das umdrehen? Anstatt den Jungs weiter einzureden, sie müssten irgendwas Geldwertes studieren, damit sie brav eine Familie ernähren können, die sie nie sehen, weil sie bis 22 Uhr im Büro sitzen – wäre es nicht viel toller, wenn wir dieses Prestigedenken auf den Müllhaufen der Soziologie werfen und uns alle nur noch mit Dingen beschäftigen, die uns interessieren? So wie wir schlauen Frauen das anscheinend schon tun, dabei aber natürlich unseren Marktwert böse ignorieren – den wir übrigens auch auf irgendeinen Müllhaufen werfen können, wenn wir schon dabei sind.

Ja, naiver Vorschlag, ich weiß. Ich wollte ihn aber wenigstens loswerden, damit es nicht wieder heißt, dem Feminismus sind die Männer egal.

Kunst auf Armlänge: Jerry Saltz über Selfies

Das Monopol-Magazin (das übrigens das erste war, das ich auf meinem geliebten iPad mini abonniert habe) schreibt sehr ausführlich über Selfies aus kunsthistorischer Sicht:

„Auf gewisse Weise orientieren sich diese Selfies am alten griechischen Theaterkonzept der Methexis – ein Partizipationsmodell, in dem der Sprecher das Publikum direkt anspricht, ein wenig wie wenn Filmkomiker direkt in die Kamera grimassieren.

Schließlich und faszinierenderweise wurde das Genre nicht von Künstlern erfunden – sondern von uns allen. Man könnte das Selfie gewissermaßen als Folklore verstehen, und als solche hat es schon jetzt die Sprache und das Lexikon der Fotografie erweitert. Selfies dokumentieren das moderne Leben, wobei sowohl Akademie wie auch Kuratoren sie bisher weitgehend ignorieren. Das wird sich allerdings ändern: In hundert Jahren steht uns durch die gewaltige Menge von Selfies ein unglaubliches Archiv der kleinen Details des Alltags zur Verfügung. Man muss sich nur mal vorstellen, was es alles zu sehen gäbe, wenn man Millionen Selfies aus den Straßen des antiken Roms hätte. (…)

Im Gegensatz zur traditionellen Porträtkunst brauchen Selfies keinen hochtrabenden Überbau. Sie gehen einen anderen Weg – oder gar keinen. Theoretiker wie Susan Sontag und Roland Barthes erkannten in allen Fotographien Zeichen von Melancholie und Tod. Aber Selfies sind nicht für die Ewigkeit gedacht. Sie erinnern an den Hund aus dem Cartoon, der auf die Frage nach der Uhrzeit immer „Now! Now! Now“ kläfft.

Adererseits lassen sich durchaus Bausteine einer kunsthistorischen und visuellen DNA finden, aus denen die Strukturen und Wurzeln der Selfies entstanden sind. So gibt es ja zum Beispiel auch alte analoge Fotos, auf denen Leute Kameras vor sich hinhalten, um sich selbst zu fotografieren. (Beliebt war das Motiv zum Beispiel, um das letzte Bild einer Filmrolle zu verknipsen, damit man den Film zum Entwickeln geben konnte.) Aber als Genre blieb diese Art des Porträts undefiniert, verschwommen und uncodiert. (…)

Ich bin bei weitem nicht der Erste, der das Selfie für eine signifikante Gattung hält. Schon 2010 schrieb der Künstler und Kritiker David Colman in der „New York Times“, das Selfie sei mittlerweile „so allgemein verbreitet, dass es die Fotografie als solche verändert.“ Colman zitierte dabei seinerseits den Kunsthistoriker Geoffrey Batchen, für den sich im Selfie zeige, „wie sich die Fotografie von einem Medium der Erinnerung zu einem Kommunikationsmittel wandelt”. Mir wiederum gefällt am Selfie vor allem, dass wir nach dem Fotografieren noch etwas anderes damit anfangen: wir veröffentlichen es. Was wiederum ebenfalls so etwas Ähnliches wie Kunst ist.“

Zur Selbstporträt des Parmigianino, das dem Artikel voransteht, haben wir in Kunstgeschichte noch gelernt, dass das durchaus Absicht sein könnte, dass die Hand des Künstlers so deutlich sichtbar ist. Im 16. Jahrhundert nahmen sich KünstlerInnen erstmals als solche war und nicht nur als HandwerkerInnen, insofern ist es naheliegend, dass Parmigianino sein „Arbeitswerkzeug“, das, was ihn besonders macht und auszeichnet, so prominent darstellen wollte.