„Wir haben oben schon darauf hingewiesen, dass das Kunstwerk im Gegensatz zur face-to-face-Kommunikation eine asymmetrische Kommunikation auslöst. Diese Feststellung ist eine relative, denn totale Asymmetrie kennt die Kommunikationstheorie nicht – immer muss ein Gegenüber anerkannt werden, immer muss ein gemeinsamer Bezugsrahmen angesprochen sein. Im Falle der ästhetischen Kommunikation erweist sich die relative Asymmetrie als Antrieb, den Betrachter nicht nur zu disponieren – durch äußere Vorgaben, deren Berücksichtigung vorausgesetzt wird –, sondern auch zu stimulieren, zu aktivieren, am Aufbau des Werks zu beteiligen. Dies geschieht durch die Art und Weise, wie der Betrachter an der innerbildlichen Kommunikation beteiligt ist. Genauer: Wie er an einer Kommunikation teilnimmt, an der er nur als Betrachter, nicht als Akteur beteiligt sein kann. Die innere Kommunikation, das, was wir häufig Darstellung, Komposition, Handlung nennen, besteht aus „Menschen, die sich Zeichen geben […], Dinge[n], die Zeichen sind […], Vorgänge[n], die selbst schon Kommunikation sind oder zumindest von Kommunikation begleitet werden oder aber der Gegenstand von Kommunikation sind, die von den Menschen im Bild gemacht wird.“(1) Im Unterschied zu den meisten Formen der Alltagskommunikation ist für die innerästhetische Kommunikation wesentlich, dass sie unter den Augen von Betrachtern stattfindet. „In das Medium sind bestimmte Formen eingelegt, die die Wahrnehmung der Zuschauer, die Weise, in der sie auf die innere Kommunikation schauen, organisieren; die innere Kommunikation wird präsentiert, und zwar so, dass sie nicht nur das bedeutet, was sie ohne Zuschauer für die beteiligten Akteure der inneren Kommunikation bedeuten würde, sondern dass sie eine zusätzliche Bedeutung hat, die gerade aus dem Umstand der Anwesenheit von Zuschauern resultiert.“(2)“
(1) Bitomsky, H.: Die Röte des Rots von Technicolor. Kinorealität und Produktionswirklichkeit, Neuwied/Darmstadt 1972, S. 30.
(2) ebd., S. 105.
Kemp, Wolfgang: Kunstwerk und Betrachter: Der rezeptionsästhetische Ansatz, in: Belting, Hans u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte: Eine Einführung, 7. überarbeitete Auflage, Berlin 2008, S. 252/253.