„Der Rest des Abstrakten im Begriff der Moderne ist sein Tribut an diese. Wird unterm Monopolkapitalismus weithin der Tauschwert, nicht mehr der Gebrauchswert genossen, so wird dem modernen Kunstwerk seine Abstraktheit, die irritierende Unbestimmtheit dessen, was es sein soll und wozu, Chiffre dessen, was es ist. Solche Abstraktheit hat nichts gemein mit dem formalen Charakter älterer, etwa den Kantischen ästhetischen Normen. Vielmehr ist sie provokativ, Herausforderung der Illusion, es wäre noch Leben, zugleich Mittel jener ästhetischen Distanzierung, die von der traditionellen Phantasie nicht mehr geleistet wird. Von Anbeginn war ästhetische Abstraktion, bei Baudelaire noch rudimentär und allegorisch als Reaktion auf die abstrakt gewordene Welt, eher ein Bilderverbot. Es gilt dem, was schließlich die Provinzialen unterm Namen der Aussage sich herüberzuretten hofften, der Erscheinung als einem Sinnhaften: nach der Katastrophe des Sinns wird Erscheinung abstrakt. Solche Sprödigkeit ist, von Rimbaud bis zur gegenwärtigen avantgardistischen Kunst, äußerst bestimmt. Sie hat so wenig sich geändert wie die Grundschicht der Gesellschaft. Abstrakt ist die Moderne vermöge ihrer Relation zum Dagewesenen; unversöhnlich dem Zauber, kann sie nicht sagen, was noch nicht war, und muß es doch wider die Schmach des Immergleichen wollen: (…)
Die Male der Zerrüttung sind das Echtheitssiegel von Moderne; das, wodurch sie die Geschlossenheit des Immergleichen verzweifelt negiert; Explosion ist eine ihrer Invarianten. Antitraditionalistische Energie wird zum verschlingenden Wirbel. Insofern ist Moderne Mythos, gegen sich selbst gewandt; dessen Zeitlosigkeit wird zur Katastrophe des die zeitliche Kontinuität zerbrechenden Augenblicks; Benjamins Begriff des dialektischen Bildes enthält dies Moment. Selbst wo Moderne traditionelle Errungenschaften, als technische, festhält, werden sie aufgehoben von dem Schock, der kein Ererbtes unangefochten läßt. Wie die Kategorie des Neuen aus dem historischen Prozeß resultierte, der die spezifische Tradition zuerst und dann eine jegliche auflöste, so ist Moderne keine Aberration, die sich berichtigen ließe, indem man auf einen Boden zurückkehrt, der nicht mehr existiert und nicht mehr existieren soll (…).“
Adorno, Theodor W., Ästhetische Theorie, S. 39–41, in: Tiedemann, Rolf (Hrsg.), Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Band 7, Frankfurt am Main 2003.