Vormittags hatte ich wieder mein geliebtes Ost-West-Dialoge-Seminar. Das erste Referat handelte vom Bitterfelder Weg, von dem ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Die Referentin zeigte sehr spannende Bilder, und ich muss zugeben, dass mir die Ästhetik der Kunst der 1950er Jahre der DDR durchaus zusagt. Weder Google noch Prometheus zeigen mir aber die Bilder, die ich so schön oder interessant fand; ich ahne jetzt, warum die Dame gestern so viele Schwarzweißbilder in ihrer Präsentation hatte – das waren wahrscheinlich Buchscans. Zwei Gemälde habe ich allerdings gefunden:
Walter Womacka: Rast bei der Ernte (1958), 165 x 180 cm, Öl auf Leinwand, Neue Nationalgalerie Berlin.
Die Kunstpolitik der DDR änderte sich seit der Staatsgründung mehrfach. Das Problem war meist, dass die Verantwortlichen zwar sagen konnten, was sie nicht wollten (westlich-dekadente Kunst, was unter anderem die Abstraktion bedeutete), allerdings weniger, was sie stattdessen wollten. Es gab kein offzielles künstlerisches Konzept, nur Anweisungen, den Arbeiter- und Bauernstaat würdig zu repräsentieren, was den Künstler*innen bei der Umsetzung erstmal freie Hand ließ, dem Staat aber trotzdem die Möglichkeit gab, Bilder abzulehnen bzw. nicht auszustellen, weil sie den vagen Anweisungen eben doch nicht entsprachen.
Uns erinnerte Womackas Bild an die französischen Impressionisten, vor allem Manets Frühstück im Grünen. Es zeigt allerdings keine Bürger*innen, sondern entspannte Menschen, denen die neue Qualität ihrer Arbeit bekannt ist. Durch die (angeblich) gesellschaftliche Teilhabe an allem arbeitete man für sich selbst und daher selbstbewusster und anerkannter als früher. Was bei der Darstellung von Werktätigen nicht gewünscht war: verzerrte Körper und Gesichter, denen man die Anstrengung der Arbeit ansieht. Es sollte eher die Zufriedenheit und der Stolz auf die eigene Leistung gezeigt werden, was viele der Bilder, die wir gestern sahen, auch taten und mir unerwarteterweise wirklich gut gefielen. Umso mehr ärgert es mich, dass ich sie nicht finde. Ein Beispiel war Otto Schutzmeisters Brigade des Baggers 431 im VEB Braunkohlewerk Nachterstedt von 1958.
Über das letzte Bild, was schon dem Bitterfelder Weg enstprach, war ich sehr erstaunt:
Heinrich Witz: Der neue Anfang (1959), 129,2 x 98,8 cm, Öl auf Karton, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn.
Ich hätte jetzt keine Champagnerflaschen im Sozialistischen Realismus erwartet, aber wie F. gestern abend launig meinte: „Das ist bestimmt Rotkäppchen-Sekt“. Auch hier fühlten wir uns im Kurs an Manet erinnert, dieses Mal an die Bar in den Folies-Bergère. (Nebenbei: An dem Bild haben wir im Lektürekurs den male gaze durchgesprochen. Noch nebenbeier: Alle Texte aus unserem Lektürekurs gibt’s als Buch.)
Das Bild zeigt, wenn ich mich richtig erinnere, die Begegnung zwischen einem Intellektuellen (rechts) und einem Arbeiter (dementsprechend links), die sich, ganz wie Künstler und Arbeiter im Betrieb, einander annähern und voneinander profitieren. Ich sehe keine wirklichen Unterschiede zwischen den beiden Herren, außer dass der rechte sich vielleicht etwas wohler in seinem Anzug fühlt, aber so ganz konnte ich die Bildbesprechung nicht nachvollziehen. Außerdem war ich natürlich wieder quengelig über die Deko-Dame im Vordergrund, fand aber das gemalte SED-Logo in der Bildmitte sehr amüsant. Ich mag die Farbigkeit gerne sowie die von der Partei gewünschte Typisierung: Die Gesichter haben kaum individuelle Züge, es soll eher das Wir als das Ich gezeigt werden.
Generell finde ich es sehr spannend, mich mit DDR-Kunst auseinanderzusetzen, von der ich zugegebenermaßen wirklich überhaupt keine Ahnung habe.