Kunstgeschichte studieren/Selfies

How Art History Majors Power the U.S. Economy

Der Artikel ist schon etwas älter (2012), aber die Argumentation für das angeblich sinnlose, weil nicht-einträgliche Studium von Fächern wie Kunstgeschichte und Philosophie stimmt immer noch: Wenn alle nur noch BWL und Jura studieren, haben wir bald bergeweise arbeitslose BWlerInnen und JuristInnen. Deswegen sollte ruhig alle, die Lust dazu haben, Kunstgeschichte und Philosophie studieren. Das scheinen sowieso nicht allzu viele Menschen zu sein:

„According to the National Center for Education Statistics, humanities majors account for about 12 percent of recent graduates, and art history majors are so rare they’re lost in the noise. They account for less than 0.2 percent of working adults with college degrees, a number that is probably about right for recent graduates, too. Yet somehow art history has become the go-to example for people bemoaning the state of higher education.“ (…)

Contrary to what critics imagine, most Americans in fact go to college for what they believe to be “skill-based education.” A quarter of them study business, by far the most popular field, and 16 percent major in one of the so-called Stem (science, technology, engineering and math) fields. Throw in economics, and you have nearly half of all graduates studying the only subjects such contemptuous pundits recognize as respectable. (…)

The argument that public policy should herd students into Stem fields is as wrong-headed as the notion that industrial policy should drive investment into manufacturing or “green” industries. It’s just the old technocratic central planning impulse in a new guise. It misses the complexity and diversity of occupations in a modern economy, forgets the dispersed knowledge of aptitudes, preferences and job requirements that makes labor markets work, and ignores the profound uncertainty about what skills will be valuable not just next year but decades in the future.“

Im Artikel wird auch angesprochen, dass viele Studierende sich überlegen, was sie verdienen wollen, bevor sie sich für ein Studienfach entscheiden. Das klingt sinnvoll, aber wer sich nur daran orientiert, was später auf der Gehaltsabrechnung steht, hat wahrscheinlich deutlich weniger Spaß am Job als die Menschen, die zuerst ihren Neigungen folgen und dann der Kohle. In einem Text über Frauenbildung der letzten 200 Jahre bin ich über eine Stelle gestolpert, die immer noch in mir grummelt. Dort wurde aufgedröselt, welche Fächer eher von Männern und welche eher von Frauen belegt werden. Die Antwort: Männer studieren Fächer, die Prestige und ein höheres Einkommen erwarten lassen, Frauen das, auf das sie Lust haben. Was in den leidigen Diskussionen um die Gender Pay Gap ja immer gerne vorgebracht wird: Würden wir Mädels mal so was Sinnvolles wie Wirtschaftswissenschaften studieren anstatt französische Literatur, würden wir auch mehr Geld verdienen.

Wie wäre es, wenn wir das umdrehen? Anstatt den Jungs weiter einzureden, sie müssten irgendwas Geldwertes studieren, damit sie brav eine Familie ernähren können, die sie nie sehen, weil sie bis 22 Uhr im Büro sitzen – wäre es nicht viel toller, wenn wir dieses Prestigedenken auf den Müllhaufen der Soziologie werfen und uns alle nur noch mit Dingen beschäftigen, die uns interessieren? So wie wir schlauen Frauen das anscheinend schon tun, dabei aber natürlich unseren Marktwert böse ignorieren – den wir übrigens auch auf irgendeinen Müllhaufen werfen können, wenn wir schon dabei sind.

Ja, naiver Vorschlag, ich weiß. Ich wollte ihn aber wenigstens loswerden, damit es nicht wieder heißt, dem Feminismus sind die Männer egal.

Kunst auf Armlänge: Jerry Saltz über Selfies

Das Monopol-Magazin (das übrigens das erste war, das ich auf meinem geliebten iPad mini abonniert habe) schreibt sehr ausführlich über Selfies aus kunsthistorischer Sicht:

„Auf gewisse Weise orientieren sich diese Selfies am alten griechischen Theaterkonzept der Methexis – ein Partizipationsmodell, in dem der Sprecher das Publikum direkt anspricht, ein wenig wie wenn Filmkomiker direkt in die Kamera grimassieren.

Schließlich und faszinierenderweise wurde das Genre nicht von Künstlern erfunden – sondern von uns allen. Man könnte das Selfie gewissermaßen als Folklore verstehen, und als solche hat es schon jetzt die Sprache und das Lexikon der Fotografie erweitert. Selfies dokumentieren das moderne Leben, wobei sowohl Akademie wie auch Kuratoren sie bisher weitgehend ignorieren. Das wird sich allerdings ändern: In hundert Jahren steht uns durch die gewaltige Menge von Selfies ein unglaubliches Archiv der kleinen Details des Alltags zur Verfügung. Man muss sich nur mal vorstellen, was es alles zu sehen gäbe, wenn man Millionen Selfies aus den Straßen des antiken Roms hätte. (…)

Im Gegensatz zur traditionellen Porträtkunst brauchen Selfies keinen hochtrabenden Überbau. Sie gehen einen anderen Weg – oder gar keinen. Theoretiker wie Susan Sontag und Roland Barthes erkannten in allen Fotographien Zeichen von Melancholie und Tod. Aber Selfies sind nicht für die Ewigkeit gedacht. Sie erinnern an den Hund aus dem Cartoon, der auf die Frage nach der Uhrzeit immer „Now! Now! Now“ kläfft.

Adererseits lassen sich durchaus Bausteine einer kunsthistorischen und visuellen DNA finden, aus denen die Strukturen und Wurzeln der Selfies entstanden sind. So gibt es ja zum Beispiel auch alte analoge Fotos, auf denen Leute Kameras vor sich hinhalten, um sich selbst zu fotografieren. (Beliebt war das Motiv zum Beispiel, um das letzte Bild einer Filmrolle zu verknipsen, damit man den Film zum Entwickeln geben konnte.) Aber als Genre blieb diese Art des Porträts undefiniert, verschwommen und uncodiert. (…)

Ich bin bei weitem nicht der Erste, der das Selfie für eine signifikante Gattung hält. Schon 2010 schrieb der Künstler und Kritiker David Colman in der „New York Times“, das Selfie sei mittlerweile „so allgemein verbreitet, dass es die Fotografie als solche verändert.“ Colman zitierte dabei seinerseits den Kunsthistoriker Geoffrey Batchen, für den sich im Selfie zeige, „wie sich die Fotografie von einem Medium der Erinnerung zu einem Kommunikationsmittel wandelt”. Mir wiederum gefällt am Selfie vor allem, dass wir nach dem Fotografieren noch etwas anderes damit anfangen: wir veröffentlichen es. Was wiederum ebenfalls so etwas Ähnliches wie Kunst ist.“

Zur Selbstporträt des Parmigianino, das dem Artikel voransteht, haben wir in Kunstgeschichte noch gelernt, dass das durchaus Absicht sein könnte, dass die Hand des Künstlers so deutlich sichtbar ist. Im 16. Jahrhundert nahmen sich KünstlerInnen erstmals als solche war und nicht nur als HandwerkerInnen, insofern ist es naheliegend, dass Parmigianino sein „Arbeitswerkzeug“, das, was ihn besonders macht und auszeichnet, so prominent darstellen wollte.

Kunstgeschichte live

(Very long, read anyway.)

Ich erwähnte in meinem ersten Blogeintrag zum neuen Semester eines meiner Seminare „Provenienzforschung. Einführung, Überblick, Perspektiven“ und was wir dort so lernen. Es erhält durch den Kunstfund in München gerade natürlich eine sehr aktuelle Dimension, die auch im Kurs diskutiert wurde.

In den ersten Sitzungen sprachen wir über die Hintergründe von Restitution – also die Rückgabe oder Erstattung von Kulturgütern, die verfolgungsbedingt entzogen wurden. (Mit dieser Formulierung umgeht man das unschöne Wort „Raubkunst“, das zum Beispiel Kunsthandwerk, Möbel oder Bücher nicht einbezieht, die natürlich auch massenweise geraubt wurden.) Wir lernten die Washington Principles kennen, in denen 1998 eine Übereinkunft zwischen verschiedenen Ländern erreicht wurde, wie mit diesen Kulturgütern zu verfahren sei. Dort steht unter anderem, dass nicht restituierte Güter identifiziert, öffentlich gemacht werden und Anstrengungen unternommen werden sollten, sie zurückzugeben. Dort steht aber auch, dass man die Umstände des Holocaust (Ausrottung kompletter Erbenfamilien) und die inzwischen verstrichene Zeit nicht vergessen sollte. Angestrebt werden „gerechte und faire“ Lösungen, die auch finanzielle Entschädigungen bedeuten können.

Wir lernten die Website Lost Art kennen, auf der die Bundesrepublik ein Register geschaffen hat, in dem Kulturgüter als vermisst oder aufgefunden gemeldet werden können. Auf der Seite finden sich zusätzlich diverse Hilfsmittel zur Provenienzrecherche, zum Beispiel eine kleine Auflistung der Reichsgesetze, mit denen der Entzug von Kulturgütern rechtlich verbrämt wurde oder eine sehr ausführliche und stets aktuelle Bibliografie zu Raub- und Beutekunst.

Vergangenen Mittwoch fand im Zentralinstitut für Kunstgeschichte ein Kolloquium zum Thema statt, das uns Kursteilnehmern und -teilnehmerinnen dringend ans Herz gelegt wurde. Zu Recht, denn das waren sehr spannende vier Stunden. Verschiedene Redner und Rednerinnen informierten über den Forschungsstand bzw. ihre Projekte. So berichtete eine Mitarbeiterin der Bayerischen Staatsbibliothek über ihre Versuche, Bücher zu restituieren, die damals direkt von der Gestapo eingeliefert wurden (so nach dem Motto, wir haben hier ein paar Kisten Bücher, enjoy), bei denen sie anhand von Widmungen und Einwohnerdaten versuchte, die Besitzer herauszufinden. Auch das klang schon im Seminar an: Die verschiedenen Arten, wie Kulturgüter entwendet und weitergegeben wurden. In meinem Referat habe ich mich mit der Datenbank German Sales 1930–1945 befasst, in der 3.000 Auktionskataloge digitalisiert und als durchsuchbare Textdateien aufbereitet wurden. Ich lernte unter anderem, dass Auktionen nicht nur von Auktionshäusern durchgeführt wurden, sondern teilweise von Zoll und Gestapo, die ganz simpel die Container öffneten, die am Hamburger Hafen standen, während ihre Besitzer ausreisten (hoffentlich). Wenn jüdische Familien verschleppt wurden, fielen ihre Wohnungen an die Finanzämter der jeweiligen Städte, die gemeinsame Sache mit den Gerichtsvollziehern machten und unter der Hand Güter losschlugen. Die US-amerikanische Militärregierung schätzt, dass seit 1941 über 15.000 Versteigerungen stattgefunden haben; daher sind die 3.000 Kataloge nur ein winziger Einblick in die Massen von Waren, die geraubt und verkauft wurden. (Mehr zu diesem Thema steht hier; meine Infos habe ich auch aus diesem Text.)

Ein weiterer Vortrag auf dem Kolloquium berichtete über „Russische Kunst in deutscher Hand – Ansichten zu einer Ausstellung in Pskov 1943“, wo es um russische Kunst ging, die von Deutschen zusammengetragen wurde (ich hoffe, ich erinnere mich richtig). Der sogenannte militärische Kunstschutz war – in Verkennung seines eigentlichen Auftrags, siehe den Wikipedia-Link – in den besetzten Gebieten dafür zuständig, Kunst für deutsche Museen zusammenzutragen; dabei wurde anfangs weitaus mehr Sorgfalt gewahrt als in den letzten Kriegsjahren, wo zum Beispiel Bilder teilweise aus den Rahmen gerissen und mitgenommen oder Werke schlicht zerstört wurden, um sie der näherrückenden Roten Armee zu entziehen. Die Werke, die für die Ausstellung zusammengetragen wurden, stammen auch aus verschiedenen Quellen, die wiedergefunden werden müssen. Und Teile davon landeten wahrscheinlich in deutschen Museen, wo sie heute unbehelligt ausgestellt werden. Ein Problem der Zäsur 1945: Teilweise wurden Kulturgüter vor Kriegsende in Depots geschafft, um sie vor Zerstörung zu schützen, aber erst nach Kriegsende in Museen oder Bibliotheken inventarisiert. Es ist teilweise nicht mehr feststellbar, wann ein Kunstwerk wohin eingeliefert wurde geschweige denn, woher es stammt.

Den vorletzten Vortrag des Kolloquiums hielt eine unserer Dozentinnen, deren Dissertation zum Thema auch als Buch Kunsthandel im Nationalsozialismus: Adolf Weinmüller in München und Wien erhältlich ist (Affiliate Link). Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Auktionshaus Weinmüller, deren heutige Leiterin als einzige (!) von allen Auktionshäusern Deutschlands die Geschichte ihres Hauses erforschen lässt. Der Rest war wahrscheinlich zwölf Jahre lang irgendwie nicht da.

Der letzte Vortrag führte dann wieder in die Gegenwart – es ging um den Datenschutz bei der Provenienzforschung. So gibt es durchaus Nachfahren, die den Namen ihrer Großeltern aus der Datenbank von Lost Art haben entfernen lassen, weil sie nicht möchten, dass irgendjemand sieht, dass Opa Raubkunst gekauft hat. Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie weit das Allgemeinwohl bzw. die Aufklärung Vorrang hat vor Persönlichkeitsrecht. Über Lost Art wurde auch in der anschließenden Diskussion gesprochen: Es wurde ein Fall eines Gemäldes skizziert, das zweimal als vermisst gemeldet wurde – von einem ersten Besitzer, der es (die Zahlen sind erfunden, aber die Richtung stimmt) 1935 verkaufen musste und einem zweiten, der es 1938 verkaufen musste. Wem gehört das Bild? Wessen Leiden ist größer, wer hat mehr Anspruch darauf?

Das war der Mittwoch. Ich bereitete lustig mein Referat vor, das ich Montag halten sollte, als Sonntag plötzlich die Nachrichten über den Münchner Kunstfund aufschlugen. (Nebenbei, liebe effektheischende Headlines: „Nazikunst“ ist es eben nicht.) Im Laufe des Tages schickten unsere Dozierenden auch lustig Mails mit den Schlagzeilen rum, und die Begrüßung am Montag ging in die gleiche Richtung: „Wenn Sie geglaubt haben, dass Kunstgeschichte ein Orchideenfach im Elfenbeinturm ist, lernen Sie gerade dazu.“ Und 30 Menschen im Proseminar hatten auf einmal einen neuen Berufswunsch.

Wieder gab es Referate, unter anderem meins – wenn ihr selbst mal lustig durch alte Kataloge suchen wollt: hier ist die Suchmaske des Getty Provenance Index, hier die der UB Heidelberg, die 200.000 Katalogseiten eingescannt hat. (Edit:) Man kann bei der UB Heidelberg übrigens auch nach Stichworten suchen: Bei „arisch“ erhält man des Öfteren den Hinweis auf „nicht-arische“ Güter, die versteigert wurden. Dieser Hinweis musste ab 1938 (? Nagelt mich nicht auf das Jahr fest) angegeben werden, war aber gleichzeitig ein verklausulierter Hinweis darauf, dass diese Gegenstände wahrscheinlich günstiger zu haben sind als „arische“.

Ein weiteres Referat zeigte die Datenbanken des Deutschen Historischen Museums in Berlin, bei dem man durch die Sammlung Hermann Görings suchen, alle Karteikarten des Central Collecting Points in München angucken oder sich mit den Stücken des „Sonderauftrag Linz“ befassen kann. Im Central Collecting Point wurden alle Güter der amerikanischen Besatzungszone zusammengetragen; der Sonderauftrag Linz galt einem zu errichtenden Museum in Linz, mit dem Hitler Wien Konkurrenz machen wollte, das ihn ja nicht als Maler hatte haben wollen. (Historisch halbwegs fundierte Küchenpsychologie.)

Ein weiteres Referat befasste sich dann mit der internationalen Provenienzforschung. Das klang in einigen Zeitungsartikeln an, dass Deutschland sich gefälligst mal mehr Mühe geben sollte, wenn’s um Restitution ginge. Ich würde vorsichtig behaupten, dass Deutschland das inzwischen tut, obwohl es der ehemaligen Bundesrepublik ziemlich lange ziemlich egal war und es auch nicht als selbstverständlich oder moralische Verpflichtung ansah; Umfragen Anfang der 50er Jahre sahen Wiedergutmachung nicht als zentrales Anliegen, das änderte sich aber netterweise in den letzten Jahrzehnten. In der DDR widersprach die Restitution der „Politik der Sozialisierung des Volkseigentums“ (1); zusätzlich gingen in den sowjetisch besetzten Gebieten Kunstwerke direkt nach dem Krieg eher in Richtung Moskau als in Richtung Schwerin, Berlin oder Dresden, genau wie komplette Fabriken, wir erinnern uns an die lustigen Reparationen. Auf der Holocaust Era Asset Conference 2009 in Prag wurde erstmals festgehalten, welche Länder sich besonders oder überhaupt nicht hervortun bei der Provenienzrecherche. Die vier Länder, die major progress gemacht haben, sind Österreich, die Tschechische Republik, Deutschland und die Niederlande. Vielleicht überraschend, aber in der letzten Gruppe („countries that do not appear to have made significant progress towards implementing the Washington Conference Principles on Nazi-Confiscated Art“) befinden sich unter anderem Italien und Spanien, denen bekannt ist, dass sie „Raubkunst“ in ihren Museen haben, es aber anscheinend nicht ändern möchten.

In Deutschland gibt es, wie erwähnt, Lost Art als zentrale Anlaufstelle für diese Kulturgüter. Die Datenbank ist zwar nett, hat aber natürlich das Problem, dass sie nur funktioniert, wenn ihr Daten zur Verfügung gestellt werden. Wenn man unter dem Menüpunkt „Datenbank“ weiterklickt zu Bayern – Melder/Fund – Staatliche Gemäldesammlung – Objektgruppen – Malerei (125 Objekte) gelangt man zwar zu einer hübschen Liste, aber die steht auch nur da, weil die Gemäldesammlung jemanden hat, der oder die Zeit und Ahnung hat, diese Liste zu erstellen. Die Gemäldesammlung hat übrigens gleichzeitig 607 Gemälde als vermisst gemeldet. Gegenbeispiel: Das Ministerium für Kultur und Nationalerbe in Warschau hat gerade ein Bild in ganz Polen als vermisst gemeldet, und ich kann mir nicht vorstellen, dass das die Zahl der fehlenden Kunstwerke im Land ist. Das meine ich mit „dafür muss man Zeit, Kenntnisse und Mittel haben“.

Das Musées Nationaux Récupération in Frankreich hat eine recht clever gestaltete Website, bei der man sich durch Kunstwerke klicken und nachschauen kann, ob sie bereits restituiert wurden oder nicht. Hier ist die Startseite, bei der man die teilweise nachlässig gefüllten Raume des Jeu de Paume während der Besetzung von Paris sieht; klickt man einen Raum an, sind dort wiederum die Werke klickbar und sogar perspektivisch entzerrt, so dass man auch so nach ihnen suchen kann. Die Links führen zum errproject, bei dem „20.000 während der deutschen Besetzung in Frankreich und Belgien geraubte Kunstobjekte registriert sind“ (Zitat von hier).

In Österreich liegt die Datenbank beim Nationalfond für Opfer des Nationalsozialismus, in den Niederlanden bei Herkomst Gezocht (Herkunft unbekannt).

Ich beschäftige mich gerade seit vier Wochen mit diesem Themenkomplex und bin durch den Kunstfund von München gleichzeitig fasziniert und abgeschreckt davon, was in dem Bereich passiert bzw. wie die Öffentlichkeit reagiert. Bei den üblichen Verdächtigen im Spon-Forum las ich zum Beispiel, dass man dem Sammler dankbar sein müsste, weil er die Werke vor den Nazis gerettet habe. Okay, Hase: Geh bitte vor die Tür, denk kurz nach und dann komm noch mal rein. Außerdem kamen natürlich des Öfteren die Klassiker „Es muss doch irgendwann mal gut sein“ und „Aber die Russen haben uns auch beklaut“, was beides bei kurzsichtiger Betrachtungsweise berechtigt scheint, was aber die Einzigartigkeit des Holocausts und seiner Begleitumstände verkennt. Wenn man sich durch die diversen Reichsgesetze und Verordnungen liest, wird klar, dass hier eine Volksgruppe systematisch um ihren Besitz gebracht werden sollte. Und wenn wir als Kunsthistoriker und Kunsthistorikerinnen auch nur ein winziges bisschen dazu beitragen können, dieses Unrecht in Ansätzen zu mildern, dann ist es eben nicht irgendwann mal gut, denn es kann nicht irgendwann mal wieder gut sein.

„Der Wert des Lebens ist weder in Ziffern auszudrücken noch in Gold aufzuwiegen. Er ist nicht quantifizierbar und insofern auch nicht verhandelbar. So kommt es, dass mit der Rede über Sachen die Rede über die ermordeten Menschen ersetzt wird. Sie wird diskursiv substituiert. Den restituierten Dingen ist der Schatten der einst über sie verfügenden Menschen eingeschrieben.

Der Genozid zieht eine merkwürdige, eine kategoriale Transformation nach sich: Die Transformation von individuell nicht mehr zu realisierenden privateigentümlichen Ansprüchen in den kollektiven Anspruch einer sich hierfür konstituierenden Körperschaft. Hier handelt es sich um die Körperschaft eines „jüdischen Volkes“, das – als kollektive Rechtsnachfolge erbenlos gemachten individuellen Eigentums – Anspruch erhebt und darin von anderen, vor allem aber von den Beanspruchten, anerkannt wurde. (…)

Das durch den Charakter dieses Genozids individuell nicht mehr restituierbare, erbenlose Eigentum hatte sich aus ethischen Gründen – um das Geraubte nicht einfach den Mördern und Räubern zu überlassen und somit die Aneignung durch Unterlassen womöglich noch zu rechtfertigen – notwendig in ein kollektives jüdisches Gut verwandelt.“ (2)

(1) Goschler, Constantin: Zwei Wellen der Restitution: Die Rückgabe jüdischen Eigentums nach 1945 und 1990, in: Bertz, Inka, Dorrmann, Michael (Hrsg.): Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Begleitbuch zur Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Frankfurt am Main; 19. September 2008 bis 25. Januar 2009 (Berlin), 22. April bis 2. August 2009 (Frankfurt am Main)], S. 30.

(2) Diner, Dan: Restitution. Über die Suche des Eigentums nach seinem Eigentümer, ebd., S. 18/19.