„Seit dem 15. Jahrhundert lassen Fürsten, einen antiken Brauch wieder aufgreifend, ihre Bildnisse in Medaillen prägen. Diese Bildnismedaillen tragen auf der Vorderseite, auf dem Avers, das Porträt des Herrschers, meistens im Profil, und auf der Rückseite, dem Revers, ein Sinnbild, eine Devise, mit einem kurzen Sinnspruch. Diese Ehrenmedaillen wurden auf mannigfache Weise verwendet: Sie wurden bei Neubauten in den Grundstein gelegt; zu besonderen Anlässen, etwa bei fürstlichen Hochzeiten oder Einzügen, unter das Volk geworfen, und man hat sie verdienten Untertanen oder hohen Besuchern als Auszeichnung übergeben. Bald wurden sie in Silber oder Gold geprägt und man verlieh sie an goldenen Ketten, so daß der Geehrte das Bildnis des Fürsten auf der Brust tragen konnte; wir sehen sie häufig an solchen Ehrenketten auf gemalten Bildnissen seit dem 16. Jahrhundert. Neben dem materiellen Wert, den solche Medaillen haben konnten, hatten sie einen hohen ideellen Wert, da ihr Träger sich als jemand ausweisen konnte, der vom Fürsten persönlich ausgezeichnet wurde. Indem der Fürst seine Medaille an Untertaten, Gesandte oder befreundete Fürsten überreichte, stiftete er eine persönliche Beziehung zu dem Geehrten und sicherte er sich auch emotional dessen Loyalität.
Im 18. Jahrhundert gewinnt neben der Medaille auch die Bildnisminiatur an Bedeutung, die man in Aquarellmalerei auf dünne Elfenbeinplatten übertrug. Auch sie wird vom Fürsten wie eine Ordensauszeichnung verliehen und an Bändern über der Brust getragen.
Diese Praxis der Loyalitätsstiftung über ein persönlich überreichtes Bildnis ist bis heute nicht aus dem Gebrauch gekommen, wenn auch die Medaillenübergabe in dem geschilderten Rahmen selten geworden ist. Aber schon Kaiser Wilhelm II. hat die Praxis auf eine Massenbasis zu stellen gewußt, indem er Postkarten mit einer fotografischen Aufnahme von sich und seiner Unterschrift massenhaft herstellen und verbreiten ließ. Staatsmänner und Diplomaten verweisen heute auch noch stolz auf Bildnisfotos mit persönlicher Widmung, die ihnen von Mächtigen dieser Welt überreicht worden sind. Auf einer anderen Ebene haben in den siebziger Jahren Aufkleber, Plakate und Anstecknadeln mit dem Bildnis Che Guevaras Solidaritätsempfindungen zum Ausdruck gebracht. Im nichtpolitischen Bereich aber ist das Verfahren gerade zu einem eigenen Industriezweig ausgewachsen: Im Auftrag von Firmen liefern Stars aus Film, Unterhaltungsmusik und Sport unterschriebene Bildnisse, Covers oder Poster; sie stellen sich auch zu Autogrammstunden zur Verfügung. Noch immer hat diese Praxis der Bildübermittlung die Funktion einer Loyalitätsstiftung, hier zwischen einem Fan und seinem Idol. Die Funktion des gewidmeten Bildes ist geblieben und ausgebaut, obwohl keine Künstlerspezialisten mehr von Hof zu Hof ziehen, um Medaillen und Miniaturen herzustellen: der Medienwechsel hat der alten Funktion neuen Auftrieb gegeben.“
Warnke, Martin: Das Bild als Bestätigung, in: Busch, Werner (Hrsg.): Funkkolleg Kunst II. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, München 1991, 2. Aufl., S. 502–503.