Ich musste im vergangenen fünften Semester insgesamt drei Hausarbeiten schreiben, weswegen ich eine schon während des laufenden Semesters beginnen wollte, um auch ja rechtzeitig fertig zu werden – Oma Gröner läuft halt nicht mehr so schnell – und das war diese hier. Das heißt, ich hatte bei ihr nicht den konzentrierten Luxus, den ich bei den beiden Geschichtshausarbeiten hatte, die ich nach Vorlesungszeitende schrieb: Ich hatte noch Seminare, musste Hausaufgaben machen und für die Klausuren lernen, und dann schrieb ich zwischendurch eben noch eine dicke Hausarbeit, las bergeweise Bücher, schrieb wieder, las bergeweise Aufsätze, schrieb und las und schrieb und wusste bei den ganzen Ablenkungen zum Schluss nicht mehr, ob das total toll oder total mies war, was ich produziert hatte.
Diesen Punkt des Zweifels erreiche ich irgendwann bei jeder Arbeit, weil ich schließlich jeden Satz 800 Mal gelesen, korrigiert und nochmal gelesen und nochmal korrigiert habe – ich sehe ab einem gewissen Zeitpunkt den Sinn vor lauter Buchstaben nicht mehr und kann qualitativ nicht mehr einschätzen, was ich da lese. Aber bei der hier war ich besonders verwirrt, vor allem, weil ich noch das Feedback meiner sechs Reviewer*innen habe einfließen lassen und daher nochmal über alles gegangen bin.
Scheint aber ganz okay geworden zu sein, wenn ich mir die Mail des Dozenten anschaue, die gestern abend kam:
„Eine solche Note habe ich, glaube ich, noch nie vergeben, musste mich aber fragen, ob ein Argument dagegen spricht. Vielmehr möchte ich Sie fragen, ob ich diesen Text verwenden darf, um ihn anderen Studierenden als vorbildliches Muster für Aufbau und Bibliographie weiterzugeben.“
Darf der Dozent natürlich. Das kleine Fünftsemester ist sehr geschmeichelt.
Zum Inhalt: Mein Referatsthema lautete schlicht „Software“. Anstatt Computergeschichte nachzuerzählen, habe ich im Referat versucht, die vielen Möglichkeiten aufzuzeigen, in denen Software in der Kunstgeschichte (oder der Kunst) zum Einsatz kommt. Ich begann natürlich mit den (haha) Basics, erzählte von Closed-Source-Software und dem Weg zu Open Source, erwähnte Die Kathedrale und der Basar und wandte einige der dort erwähnten Prinzipien zur Softwareproduktion auf die Kunstgeschichte an. Mein Hauptaugenmerk lag auf dem kollaborativen Arbeiten; ich erwähnte Beispiele wie Madison, ARTigo oder das Brooklyn Museum, das sich über Hinweise von Besuchern freut anstatt großkotzig darüberzustehen, was der Pöbel will. („… and we welcome any additional information you might have.“)
Ich sprach über Clay Shirkys Publish first, filter later, über Open Access, über die vergrößerte Sichtbarkeit und bessere Korrigierbarkeit von Texten in e-Books und Blogs und erwähnte meine eigene Hausarbeit, die in den ersten zehn Tagen nach Veröffentlichung beachtliche 230 Mal heruntergeladen wurde – und ich behaupte, ich habe nicht unbedingt viele Kunsthistoriker*innen unter meinen Leser*innen. Ich sprach über Jeff Koons‘ Instagram-Account (der inzwischen arg leergefegt aussieht), dass Vorzeichnungen von Gemälden quasi Betaversionen seien und dass heute alles im Fluss sei – wie auch bei Software, die nie fertig wird und stets ein Update bekommt.
Aus diesem Sammelsurium wünschte sich der Dozent eine Arbeit über die veränderten Publikationsmöglichkeiten für Kunsthistoriker*innen. Das ist sicherlich kein speziell kunstwissenschaftliches Thema – auch die Naturwissenschaft arbeitet mit Open Access –, aber für mich persönlich war es sehr reizvoll, sich intensiver mit diesem Thema auseinanderzusetzen, gerade weil ich eine Freundin des Teilens bin, des offenen und unbeschränkten Zugangs zu Informationen und des Austauschs von Wissen. Und nebenbei habe ich viel über Computer- und Softwaregeschichte gelernt. (Das zitierte Buch von Walter Isaacson – The Innovators: How a Group of Inventors, Hackers, Geniuses and Geeks Created the Digital Revolution – liest sich übrigens wie geschnitten Brot, auch aus feministischer Perspektive.)
Hatte ich schon auf Twitter erledigt, aber hier noch mal der Dank an meine Reviewer*innen, die mir sehr geholfen haben.
Enjoy. Mach’s gut, fünftes Semester.
(1,0. Sehr glücklich.)